Vielspieler oder Normalspieler?
Gerade hatte FAIRPLAY ONLINE die Ernennung von Udo Bartsch zum Juror bekanntgegeben, da gab es bereits eine kritische Anmerkung: „Je mehr Vielspieler in dieser Jury sitzen, desto weniger wird das Spiel gekauft werden. Dadurch verringern sich die Spieler und so weiter. Teufelsspirale“, mahnte der Kommentar-Eintrag.
Vielspieler oder Normalspieler – dieser Gegensatz wurde auch von Wolfgang Kramer in einem Spielbox-Interview vertreten. Sein impliziter Vorwurf lautete dabei: Die Spielekritik orientiere sich zu sehr am Vielspieler und lässt den Normalspieler links liegen.
Dieser Eindruck mag ja stimmen, wenn man sich durch die zunehmende Anzahl an mehr oder weniger fundierten Internetveröffentlichungen klickt. Manchmal hat man dort tatsächlich das Gefühl, dass ein Spiel als umso besser gilt, je komplexer es ist.
Für die gedruckte Presse lässt sich dieser Vorwurf hingegen kaum belegen. Selbstverständlich richtet sich eine Zeitschrift wie die FAIRPLAY an Vielspieler. Denn wer selten spielt, abonniert schließlich kein Spielemagazin.
Trotzdem wäre die Behauptung, dass nur Spiele mit möglichst fingerdicker Regel und ellenlanger Dauer auf positive Bewertungen hoffen können, völlig falsch. Auch ein WÜRFEL BINGO kommt bei den FAIRPLAY-Kritikern gut an, und das eingängige und recht glücksabhängige JENSEITS VON THEBEN gehörte zu den absoluten Favoriten des letzten Jahres. Schließlich mögen Vielspieler – wenn sie ihr Hobby noch spielerisch verstehen – auch das einfache und kurze Spiel. Voraussetzung ist dabei: Das Spiel muss gut sein.
Die These, für den Normalspieler müsse man andere Titel empfehlen, scheint davon auszugehen, dass es dabei nicht so sehr auf die Qualität des Spieles ankommt. Klar: Manche Erwägungen hinsichtlich der Güte eines Spieles werden für den so genannten Normalspieler vielleicht nicht nachvollziehbar sein, da ihm dazu die Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Doch kritisch ist er trotzdem. Denn wenn es ihm nicht gefällt, wird er dem missfallenden Spiel mindestens genauso schnell den Rücken kehren, wie ein Vielspieler. Bei letzterem besteht jedoch nicht die Gefahr, dem Spiel insgesamt abzuschwören – er zieht einfach einen anderen Titel aus seinem gut gefüllten Regal.
Bartsch ist nicht der einzige Vielspieler in der Jury. Ich hoffe, alle Juroren sind Vielspieler. Als 2001 sich der Verdacht erhärtete, dass es einige Jurymitglieder mit dem viel spielen nicht so ernst nähmen, folgte unter anderem aus Protest dagegen der Rücktritt von drei Juroren. Mittlerweile gab es in der Jury, an dessen Spitze jetzt der angesehene Bielefelder Spielejournalist Stefan Ducksch steht, einen tiefgreifenden Generationenwechsel. So nimmt Udo Bartsch ausgerechnet die durch den Rücktritt des langjährigen Vorsitzenden Synes Ernst freigewordene Stelle ein.
Der hinter vorgehaltener Hand erhobene Vorwurf gegen einige Juroren lautete damals, sie lassen spielen – anstelle selbst einen aktiven Part am Spielbrett zu suchen. Dies wäre tatsächlich das Alternativkonzept: Ich lasse als Jurymitglied den Otto Normalspieler meinen Platz einnehmen und beschränke mich auf eine möglichst teilnahmslose Beurteilung, um die Objektivität nicht zu gefährden. Eine absurde Vorstellung. Zwar nutze ich das beobachtende Vorgehen selbst, aber nur dann, wenn es um Kinderspiele geht. Hier ist es aber eine Notsituation: Angesichts meines Alters traue ich mir schon einige jahrzehntelang nicht mehr zu, mich mit der erforderlichen kindlichen Perspektive in ein Spiel hineinzudenken. Doch teilnahmslose Objektivität ist auch beim Spiel mit den Kindergruppen nicht mein Ding.
Ein nur eingeschränktes Urteil erarbeitet sich ein Spielekritiker dann, wenn er nur auf eine sehr kleine Anzahl an Mitspielern zurückgreifen kann. Denn immer nur in der gleichen Runde mit so genannten Vielspielern zu sitzen, kann zu einer gewissen Betriebsblindheit führen. Optimalerweise muss man auch mit Nachbarn, Kneipengästen, Familien und so weiter spielen, um die Qualität von Spielen optimal auszuloten, und sein subjektives Urteil immer in Frage zu stellen. Ein Jurymitglied muss schließlich versuchen, das beste Spiel zu finden. Und anschließend aus den vielen Besten eines als Gesamtsieger mit dem roten Pöppel zu prämieren.
Das beste Spiel kann je nach Spielegruppe, nach Tageszeit oder Tagesform mal das eine und mal das andere sein. Was ein Juror hingegen keinesfalls tun sollte: statt einem besten ein weniger gutes Spiel auszuwählen. Denn dazu ist der gepriesene Normalspieler zu wichtig. Er hat das Beste verdient.
aus der FAIRPLAY Nr. 82 (gekürzt)
Ich kann dem Kommentar voll zustimmen. Wolfgang Kramer hat in der neuen spielbox mit seiner Idee, daß seine Spiele zu schlecht benotet werden, ein Eigentor geschossen.
Viele Grüße
Sandra
Ich muss Wolfgang Kramer rechtgeben.
Wenn ein Familienspiel schlecht benotet wird, blos weil es kein Strategiehammer ist.
Schlechtbenotete Spiele kommen bei mir nicht auf den Tisch, zuviele Perlen warten darauf endlich (wieder-)einmal gespielt zu werden.
Wenn das Spiel aber als Superspiel für Familen bewertet wird, wird es näher betrachtet und auch gespielt.
Neben Roads&Boats, La Città und Co. spiele ich auch gerne mal ein Ostfriesenlauf, SIXMIX, Santy Anno, Verflixxt etc.
Deshalb soll jedes Spiel in seiner Kategorie bewertet werden, oder besser noch, in verschiedenen.
Caylus wäre als Kinderspiel völlig ungeeigent 😉
Dasselbe ist doch, mit den Filmkritiken, oder?
Die suchen in „Mars Attacks“
den Sinn des Lebens.
Viele Grüsse
Pajdl