Fairplay 130 – Rezension: Architects of the West Kingdom

Ab in den Kerker mit den Workern

Architects of the West Kingdom

ARCHITECTS OF THE WEST KINGDOM hat einige sehr schöne Ideen: So darf, wer moralisch zu verkommen ist, nicht mehr an der Kathedrale herumbauen. Das kann Einbuße vieler Siegpunkte bedeuten. Andererseits gilt in diesem Spiel wie im echten Leben: Ist der Ruf erst ruiniert… Steuern zahlt man dann nämlich auch nicht mehr und kann sich vielleicht mehr Ressourcen und Lehrlinge leisten als der gesetzestreue Spießbürger. Dieser ist zwar hoch angesehen, darf sich seinerseits aber nicht mehr auf dem Schwarzmarkt sehen lassen. Siegpunkte sammeln die geschätzten Bürgerinnen und Bürger aber weiterhin ein und werkeln auch am Gotteshaus herum.

Natürlich finden vieler dieser Entscheidungen einfach auf einer Leiste statt und wären in anderen Arbeiter-Einsetz-Spielen vielleicht weniger gut erklärte Verzahnungen, wie sie von Vielspielern oft gelobt werden, doch die verständlichen Begründungen bei ARCHITECTS OF THE WEST KINGDOM finde ich viel interessanter.

Das geht alles nämlich noch weiter. Wer zu viele Arbeiter im Kerker hat, gilt als nicht mehr ganz so tugendhaft und muss sich womöglich auch noch verschulden. Vogelfreie stehlen der Gemeinde gar die gesamten Steuereinnahmen. Aber, wie nicht anders zu erwarten, sollte man das nicht allzu häufig machen, sonst stürzt man auf der Tugendleiste zu tief ab. Oder ist das gar nicht so entscheidend? Das letzte Mal, dass mir in einem Euro Game so viele moralisch aufgeladene Entscheidungen untergekommen sind, war bei EUPHORIA: BUILD A BETTER DYSTOPIA, und das ist schon lange her.

„Wir spielen begeistert los, tricksen hier, stehlen da, nehmen andere Arbeiter fest und haben Spaß bis …“

Ähnlich wie bei RAIDERS OF THE NORTH SEA, dem bekanntesten Spiel von Autor Shem Phillips, gibt es bei diesem Worker-Placement-Spiel einen interessanten Twist beim Einsetzen der Arbeiter. Das geht schon damit los, dass jeder Spieler von Anfang an zwanzig Arbeiter zur Verfügung hat. Da man auch immer nur einen pro Zug einsetzt, reichen diese eine Weile lang aus. Sie werden also an den verschiedenen Stationen eingesetzt und blockieren diese übrigens nicht. Je mehr man jeweils im Einsatz hat, desto mehr Ressourcen bekommt man oder kann zwischen immer besser werdenden Optionen auswählen. Das macht Spaß, insbesondere wenn man mal acht oder neun Holz oder Steine auf einen Schlag einsammelt. Das fühlt sich für mich so befriedigend an wie die gelegentliche Ressourcenflut bei AGRICOLA und LE HAVRE.

Allerdings klappt das große Absahnen bei ARCHITECTS OF THE WEST KINGDOM nicht immer, was an der zweiten ungewöhnlichen Mechanik liegt: dem Gefangennehmen von Arbeitern! Ist man der Meinung, dass ein Mitspieler an einem Ort zu viele Arbeiter ansammelt, kann man diese mit einer eigenen Aktion einfangen und zu sich entführen, beziehungsweise etwas später für ein Kopfgeld ins Gefängnis schmeißen. Lustigerweise bekommt man die eigenen Arbeiter auch nur durch Gefangennahmen wieder unter Kontrolle. Vermutlich ist man kein wirklich guter Arbeitgeber, so dass sie freiwillig nicht zurück zu dir wollen.

Für ein Arbeiter-Einsetz-Spiel im Kennerbereich ist das atmosphärisch dicht umgesetzt, wenngleich das eigentliche Thema „Wir sind Architekten im karolingischen Reich im Jahre 850 und wollen den König beeindrucken” wiederum beliebig wirkt.

So spielen wir also begeistert los, tricksen hier, stehlen da, nehmen andere Arbeiter fest, denken uns dazu lustige Geschichten aus, haben Spaß… bis wir feststellen, dass uns viele dieser Aktionen kaum Punkte einbringen. Denn es geht gar nicht um diese Interaktionen und Scherzchen, sondern darum, Siegpunkte durch den Bau der Kathedrale und eigener Gebäude zu sammeln. Das sollte bei Spielthema und Genre eigentlich keine Überraschung sein, erstaunt aber doch, wenn man die ersten Endabrechnungen miterlebt hat. Es gewinnt dann doch nicht der involvierteste Spieler, sondern derjenige, der am besten Ressourcen eingesammelt und still vor sich hin gebaut hat, egal ob tugend- oder frevelhaft. Schlimm ist das nicht, und ARCHITECTS OF THE WEST KINGDOM bleibt definitiv in meiner Sammlung, doch hätte ich mir schon gewünscht, dass die schönen Geschichten rund ums Punktesammeln unterm Strich irgendwie bedeutsamer wären.

Hendrik Breuer

Dieser Text erschien in der 130. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 24 Euro im Jahr.


Shem Phillips und S J Macdonald: ARCHITECTS OF THE WEST KINGDOM für 1 bis 5 Spieler mit Illustration von Mihajlo Dimitrievski bei Garphill Games bzw. Renegade Game Studios 2018, Spieldauer ca. 100 Minuten, Sprache: Englisch