Fairplay 134 – Rezension: Small World of Warcraft

Keine Lizenzgurke

Das kam unerwartet. Mein Kumpel legt mir den Schicksalshammer direkt vor die Füße. Mit einer kleinen Truppe samt Artefakt ist er auf meiner Insel eingefallen und hat dabei übersehen, dass ich ihm den so wertvollen Hammer umgehend abnehmen und direkt gegen ihn einsetzen kann. Meine Tauren, die zuvor die glücklos agierenden Trolle abgelöst hatten, schlagen unbarmherzig zu, erobern Fleckchen um Fleckchen und erhaschen so den Gesamtsieg. Willkommen in der Welt von Warcraft!


Nein, werter Leser, Sie haben sich nicht ins falsche Magazin verirrt. Wir sind hier immer noch bei analogen Brettspielen, im SMALL WORLD-Universum um genau zu sein. Und tatsächlich kommt zusammen, was irgendwie schon immer zusammen gehört hat – SMALL WORLD OF WARCRAFT. Schon der Name ist pure Symbiose, das Spiel auch. Zugegeben, ich bin ein Fangirl.

Mein Taurenschamane Faerris hat zu Beginn des Spiels vor nunmehr über 15 Jahren Azeroth und Kalimdor unsicher gemacht, bis Arbeit und Familie die knappe Zeit in Anspruch nahmen. Tatsächlich hatte ich kleine Freudentränen in den Augen, als ich vom Brettspielableger hörte, zumal ich SMALL WORLD an sich schon gut finde. Nicht überragend, aber gut und unterhaltsam. 


Jetzt darf ich mit Untoten, Worgen und – wenn es denn sein muss – den unbeliebten Pandaren die Inseln unsicher machen. SMALL WORLD-Veteranen werden jetzt aufhorchen. Inseln? In SMALL WORLD OF WARCRAFT bewegen wir uns auf vier variablen Inseln unterschiedlicher Größe. Das bringt im Gegensatz zum Originalspiel deutlich Abwechslung in die Angelegenheit. Natürlich finden sich auch auf den Inseln verschiedene Zonen sowie besondere Orte, die uns Boni bescheren. Zum Beispiel der Geistheiler, der einem nach dem Umgruppieren ein zusätzliches Völkerplättchen spendiert. Oder Karazhan, dort gibt es eine zusätzliche Siegmünze für Regionen. 


Alles so wie bekannt, was auch auf den Mechanismus zutrifft. In bester SMALL WORLD-Manier kombiniert man Völker und ihre speziellen Fähigkeiten mit einer weiteren zufällig kombinierten Spezialfähigkeit. So lassen sich zum Beispiel kräuterkundige Goblins befehligen. Nicht nur die Rassen, auch die Berufe sind dem PC Spiel entnommen. Kräuterkunde, Bergbau oder Schmied, alles dabei. Die Spieler wählen aus einer Auslage, und was weiter unten liegt, muss teuer bezahlt werden. Am Ende siegt der, der am meisten Geld – sprich Siegpunkte – ansammeln konnte. Zaster gibt es wie gewohnt für die Ausbreitung auf der Weltkarte und auch für die Reste untergegangener Völker. Wer eine Region erobern will, braucht dafür mindestens zwei eigene Völkerplättchen, die dort einmarschieren, sowie ein zusätzliches pro Feindplättchen. 


Dazu können weitere Kosten kommen wie Reisekosten in nicht benachbarte Regionen, eine Irrwischbarriere oder ein Murloc (ja, auch die kleinen, nervigen Biester sind dabei), die weitere Plättchen erfordern. So schmilzt das eigene Volk während des Feldzugs dahin, und es gehört zum Clou der SMALL WORLD-Mechanik, weise wählen zu müssen, wann man sein eigenes Volk untergehen lassen möchte. Hier den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist nach wie vor einer der wesentlichen Schlüssel zum Erfolg. 


Ein Kniff des Warcraft-Ablegers ist die vorgegebene Konkurrenz von Horde und Allianz. Wer sich mit der Gegenseite prügelt, erntet neben Ruhm mehr Geld. Wer sich gegen drei Allianz-Mitstreiter mit einer Hordefraktion auf das Spielbrett wagt, ist entweder wagemutig oder völlig wahnsinnig. Neutrale Fraktionen sind ebenfalls zu finden. Frei nach dem Motto „viel Feind, viel Ehr“ geht das bekannte Pokern in quietschbunter Comicoptik los. Wie viele Einheiten setze ich ein? Wie viele ziehe ich weiter? Bleibe ich in meiner vertrauten Region oder mache ich mich auf den Weg über den großen Teich? Ja, SMALL WORLD OF WARCRAFT ist wieder ein El Dorado für Grübler, und das kann zu erheblicher Downtime führen. Zwischendurch den Zug planen ist schwer, denn vor allem in Vollbesetzung kann das Blatt sich schnell wenden. Oder – wie in meinem oben angeführten Beispiel – einem den Sieg direkt vor die Haustür schmeißen.


SMALL WORLD hat aber auch in der Warcraft-Variante mit Glück genau so viel zu tun, wie ein nüchterner Nachtelfe mit einer Spelunke in Orgrimmar. Taktieren, Planen und immer mit einem Auge beim nächsten angepeilten Volk sein, so lautet die Devise. Wem das schon im Klassiker VINCI von 1999 keinen Spaß gemacht hat, oder in SMALL WORLD aus 2009, der wird auch als eingefleischter Warcraft-Fan am Lizenzableger keine Freude finden. 


Wer das Spiel aber als stimmige Erweiterung des Universums mit kleinen, aber feinen Änderungen sieht und sich auf die Rassen des Computerspiels einlassen kann, der bekommt rundherum gute Unterhaltung geboten. Nichts, was zwangsläufig jede Woche auf den Tisch kommen muss, sich aber im Kreis von mindestens drei, besser vier Gleichgesinnten flott runter spielen lässt. Im Teammodus lässt sich das ganze übrigens auch bestreiten. In diesem Sinne – für die Horde! 


Alex Schlüter

Philippe Keyaerts: SMALL WORLD OF WARCRAFT für 2 – 5 Personen mit Illustration von Miguel Coimbra und Cyrille Daujean bei Blizzard Entertainment und Days of Wonder 2020, Spieldauer 40 – 80 Minuten


Dieser Text erschien in der 134. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 24 Euro im Jahr.