Mit Nah- und Weitsicht
MICROMACRO: CRIME CITY ist ein Detektivspiel in Reinkultur. Vergehen, zumeist Morde, müssen aufgeklärt werden. Fragen stehen im Raum. Wer war der Täter? Was war das Motiv? Wohin sind die Protagonisten geflohen? Das alles lässt sich durch gute Beobachtung und logische Schlussfolgerung bewerkstelligen. Und das macht riesig Spaß, auch vielen anderen, denn bei unserer FAIRPLAY Scoutaktion zur SPIEL.digital wurde dieses Spiel auf Platz 1 gelobt, was sicherlich Aussagekraft besitzt.
Obacht: Die Rezension enthält leichte Spoiler. Wer unvoreingenommen die Rezension lesen möchte, kann das nach dem Lösen der ersten sechs Fälle tun.
Wie funktioniert MICROMACRO?
Insgesamt 16 verschiedene Fälle müssen in CRIME CITY aufgeklärt werden. Auch wenn sich der Schwierigkeitsgrad staffelt, so sind doch die Zugriffe immer gleich. Das Vorgehen wechselt ständig zwischen einer Micro- und der Macro-Ebene. Zur Aufklärung der Fälle wird eine riesige Stadtkarte (75 x 110 cm) ausgebreitet. Hierauf ist das Treiben in einer Metropole zu beobachten. Überall wuselt es von Menschen, Autos, Tieren. Ein riesiges Wimmelbild eröffnet sich dem Betrachter und versteckt die vielen Details, die es zu entdecken und zu entschlüsseln gilt. Jetzt ist es nicht so, dass der in die Jahre gekommene Walter auf den großen „Wo ist Walter?“-Panoramen zu finden gilt. Es dauerte stets eine Weile, bis der schlaksige Typ mit rotweiß gestreiftem Pullover und Pudelmütze entdeckt wurde. Hier ist das nur der Anfang. Hat man den Ort des Verbrechens gefunden, zumeist liegt eine Leiche maustot an einem schnell gefundenen Ort, geht es erst richtig los. Was geschah vorher? Wie entwickelte sich die Situation danach? Das Geschehen ist dynamisch. Wie mit mehreren Überwachungskameras wird ein Ablauf dargestellt, den man verfolgen kann und zur Lösung des Falls auch muss.
Erst Macro, dann Micro.
Es beginnt eigentlich immer mit einer Macro-Aufgabe. Im Neptunpark liegt Mr. Katz, erstochen von einem Unbekannten. Nun gilt es zunächst, den Park zu finden. Man tritt zurück und betrachtet das Gesamtbild. Eher schnell sieht man einen Stadtpark mit großem Brunnen mit Götterstatue samt Dreizack. Jetzt gilt es, dieses kleine Terrain um den Brunnen abzusuchen und schnell findet man Mr. Katz, mit zusammengekniffenen Augen auf dem Parkweg liegen. Ab jetzt wird alles mit Fragekarten gesteuert: Wo kam er her? Wer die möglichen Gehwege verfolgt, entdeckt Mr. Katz, wie er zeitlich wohl kurz zuvor den Park noch mit einem Köfferchen betreten hat. Und, verdächtig, verdächtig, er wird von jemanden hinter einem Gebüsch mit gezücktem Dolch in der Hand beobachtet. Switcht man wieder zum Tatort zurück, fällt jetzt erst auf, dass der Koffer fehlt und etwas weiter die Tatwaffe liegt und noch etwas weiter wohl Masken abgelegt wurden, die der Beobachter am Parkeingang noch getragen hat. Schon hat man erste Indizien, die aber noch weit von der Gesamtlösung des Falls entfernt sind.
Zumeist muss man Wege nachverfolgen, die vor und nach der Tat von den Protagonisten zurückgelegt wurden. Diese führen bisweilen durch die gesamte Stadt. Dabei sind Strecken zu Fuß noch eher leicht zu finden. Wenn aber der Protagonist in einem U-Bahn-Schacht verschwindet oder an einer Bushaltestelle ansteht, muss man erschließen, wohin er sich fortbewegt. Dann gilt es wieder einmal die Micro-Ebene zu verlassen und in der Macro-Betrachtung nach den weiteren Stationen zu suchen.
Wie spielt sich das MICROMACRO in der Praxis?
Bis jetzt waren die durchgespielten Rätselfälle logisch schlüssig, was die detektivische Reise, auf die die Spieler sich begeben, stützt. Der Wiederspielreiz ist zweifelsohne groß. Allerdings muss ich ein paar Probleme erwähnen. Die Wimmelkarte ist so überdimensioniert, dass sie kaum auf einen normalen Tisch passt. Sie an die Wand zu hängen, wird empfohlen. Es wird wohl eher so sein, dass man sie auf den Fußboden legt und kniend die Tathergänge rekonstruiert. Das ist nicht so komfortabel. Wer einen Fernseher mit 55-Zoll-Flachbildschirm hat, kann die Karte mit Klebestreifen fixieren und sich davorsetzen. Wie auch immer, es bleibt das Problem, dass bei den Micro-Such-Aktionen nur ein Spieler, maximal zwei sich um den Ort des Geschehens kümmern können. Sie beugen sich vor und hocken dicht gedrängt nebeneinander. Eine gute Ausleuchtung ist unabdingbar. Eine Lupe zur Hand kann nützlich sein, wobei die beigelegte Lupen-Scheckkarte eher Gimmick als nützlich ist. Das Geschehen von oben oder von der Seite zu beobachten, funktioniert leidlich. Man sollte die Karte schon eingenordet vor sich liegen haben.
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Idealerweise spielt man also alleine oder zu zweit. Auf jeden Fall sollte man beim Spiel mit mehreren fleißig kommunizieren, also Beobachtungen und Vermutungen den anderen mitteilen, so dass man wie eine echte SOKO dem Täter auf die Schliche kommt. Das macht dann den Reiz des Spiels aus.
Was wenn unsere SOKO bei einem Fall nicht weiterkommt?
Zum Glück ist die Spielkarte in schwarz-weiß gezeichnet. Wäre die riesige Bildfläche bunt und farbig, würde das bei den Suchaktionen zu Augenkrebs führen. Und trotzdem wird man sich in Sackgassen verlaufen und nicht weiterwissen. Da ist es dann gut, wenn mehrere ihre Beobachtungen und Gedanken einbringen können. Die Aufgabenkarten, die durch den Fall mit ihren Fragen führen, geben auf den Rückseiten Hinweise. Bevor man diese aber vorschnell liest, sollte man vielleicht eher einmal pausieren und dann später mit neuem Blickwinkel an den Fall herangehen. Es ist immer befriedigender, einen Falls ohne Hilfe zu lösen.
Der Trick mit dem Bus.
Und noch ein Schmankerl muss erwähnt werden. Schon auf dem Schachtelcover gibt es einen ersten, einfachen Fall zu lösen. Das funktioniert und erklärt die Spielidee bevor auch nur die Regel einmal in die Hand genommen wurde. Das ist großartig, wie übrigens auch die komplette Spielidee. Das liegt auch daran, weil bisher in jedem neuen Fall andere Herangehensweisen erfordern. Wer einmal den Trick mit der Busfahrt kennt, wird bei weiteren Fällen vor andere Aufgaben gestellt, die immer wieder schön und befriedigend sind, wenn man sie gemeistert hat.
Und ein Letztes: Wenn man auf der Suche nach Fluchtwegen mit den Augen durch die Stadt streift, findet allerorten herumliegende Leichen. Das darf nicht verwundern, wir befinden uns schließlich in Crime City.
Peter Neugebauer
Johannes Sich: MICROMACRO: CRIME CITY für 1 – 4 Personen mit Illustration von Daniel Goll, Tobias Jochinke, Johannes Sich bei Pegasus Spiele und Edition Spielwiese 2020, Spieldauer 15 – 45 Minuten