Die Hex‘ ist (hoffentlich) tot
Roanoke – eine Kolonie an der Ostküste Amerikas: Von einem Tag auf dem anderen verschwinden dort laut einer Legende Ende des 16. Jahrhunderts 118 Siedlerinnen. Lediglich das Wort „Croatoan“ fand sich auf einem Baumstamm eingeschnitzt. Hat hier etwa eine Hexe ihre knorrigen Finger im Spiel gehabt? Aus dem Stoff wurden diverse Bücher oder Filme entwickelt, und jetzt mit PAGAN: FATE OF ROANOKE auch ein Spiel. Als reines Zwei-Personen-Spiel das ideale Futter während des Lockdowns. Das Spiel selbst bruzzelt immer noch auf Kickstarter, wir haben den Prototypen auf Herz und Nieren getestet.
Zugegeben, große Erwartungen hatte ich nicht. Denn PAGAN: FATE OF ROANOKE ist ein Deduktionsspiel. Und eigentlich bin ich kein großer Fan dieser Art Spiele. Das Setting hingegen finde ich fantastisch. Eine Spielerin schlüpft in die Rolle der Hexe, die andere übernimmt den Part der Hexenjägerin. Neun äußerst verdächtige Dorfbewohnerinnen bevölkern die Auslage. Im Vorfeld hat die Hexen-Spielerin aus einem separaten Stapel eine Bewohnerin gezogen. Nur sie weiß also, wer in Wahrheit Böses im Schilde führt.
Ziel der Hexe ist es, ein Ritual zu vollenden, um die Kolonie zu vernichten. Die Hexenjägerin hingegen will die Übeltäterin enttarnen und exekutieren. Zwei Dorfbewohnerinnen dürfen dabei unschuldig angeklagt und eliminiert werden. Enttarnt die Hexenjägerin eine dritte unschuldige Person, ist das Spiel für sie aus.
Dazu nutzen die Hexe und die Hexenjägerin allerlei Hilfsmittel. Flüche, Gerüchte, Spuren, Tränke – Karten geben den Kontrahentinnen jede Menge Möglichkeiten, dem jeweils anderen das Leben schwer zu machen. Die Karten ziehen die Spielerinnen aus einem eigenen Deck. Denn PAGAN: FATE OF ROANOKE verpackt das Deduktionselement in ein asymmetrisches Kartenspiel. Die Hexe kann im Lauf des Spieles einige Begleiter beschwören, die ihre Fähigkeiten verstärken. Die Hexenjägerin heuert Gehilfen an. Und das alles natürlich gegen Bezahlung, denn ohne das nötige Kleingeld läuft auch in „Pagan“ mal so gar nichts. Und Kleingeld heißt hier Einfluss, denn man erst einmal erhalten muss. Die einzelnen Bewohner haben spezielle Aktionen, die ausgelöst werden, wenn die Hexe oder die Hexenjägerin ihre Marker dort setzt. Beide Parteien haben unterschiedliche Karten und ebenso unterschiedliche Aktionsmöglichkeiten.
Um es kurz zu machen: Ich war positiv überrascht. Mit wenig Erwartungen gestartet, hat mich das Spiel auf ganzer Linie überzeugt. Tatsächlich entwickelt sich das Duell sehr intensiv, beide Spielerinnen belauern sich permanent und es ist vor allem für den Part der Hexe sehr fordernd und spannend, die eigenen Möglichkeiten sinnvoll einzusetzen, ohne zu früh zu verraten, wer denn da die vernichtenden Tränke braut. Ständig die Frage: Wie tickt mein Gegenüber?
Wir haben in diversen Partien immer wieder spannende und sehr knappe Duelle erlebt. Die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind immer knifflig. Verdächtige ich einen Bewohner, obwohl ich mir nicht sicher bin? Dann töte ich vielleicht einen Unschuldigen. Wo platziere ich meine Marker? Wie verbaue ich meiner Gegnerin eventuell eine Chance? Das Spiel ist hoch konfrontativ. Wer das nicht mag und wer es nicht vertragen kann, dass ihm immer und heftig in die Suppe gespuckt wird, der wird keine Freude mit dem Titel haben. Tatsächlich sollten die Mitspielerinnen auch Geduld mitbringen, denn für ein Zwei-Personen-Spiel entsteht ordentlich Downtime, wenn eine der beiden Kontrahentinnen sich in ihrem Zug nicht so wirklich entscheiden kann.
Das Artwork der Karten finde ich großartig und thematisch wunderbar stimmig. Rein optisch macht der Titel schon im Prototypen alles richtig. Das Material ist äußerst gelungen. Lediglich das Rädchen, mit dem der Einfluss markiert wird, zeigt sich sehr fummelig und ließ sich bei uns nur sehr schwer einstellen. Kleine Notiz am Rande – sehr schmunzeln musste ich, als ich in meinem Deck sowohl die Karte „Lockdown“ als auch „Quarantäne“ gefunden habe. Von der Pandemie haben die beiden Autoren Kjær Christiansen und Kåre Storgaard beim Entwickeln sicher noch nichts wissen können. Oder doch?
Alex Schlüter
Kasper Kjær Christiansen und Kåre Storgaard: PAGAN: FATE OF ROANOKE für 2 Personen mit Illustration von Maren Gutt bei Wyrmgold GmbH 2021, Spieldauer 30 – 60 Minuten