Durch die Wildnis puzzeln
Was macht ein gutes Spiel aus? Ein innovativer Mechanismus? Eine tolle Story? Eine ansprechende Optik? Jeder hat da so seine Prioritäten. Ganz objektiv lässt sich aber sicher sagen, dass ein Spiel besonders gut ist, wenn es unterschiedliche Spielertypen gleichermaßen begeistert. Und das hat CASCADIA mal locker geschafft. Zugegeben, ich musste nach dem Auspöppeln des wunderschönen Materials und der Tierthematik gar nicht mehr abgeholt werden. Andere aber schon – und heute ist CASCADIA die erste Wahl in nahezu jeder Runde, wenn uns nach einem nicht zu komplizierten Familienspiel ist.
Wenn ich jetzt schreibe, wir legen sechseckige Wildnisplättchen, um mit Tiergruppen (oder Solisten, je nach Anforderung) viele Punkte zu ergattern und gleichzeitig möglichst große gleiche Gebiete zu bauen, dann fangen die ersten Leser an zu gähnen. Stimmt’s? Kann ich gut verstehen, denn das ist so ziemlich alles, aber nicht neu. CASCADIA aber schafft es, dem leicht angestaubten Prinzip durch einige Kniffe etwas Neues abzugewinnen, ohne dabei den Gelegenheitsspieler mit drölfzig Regeln und Ausnahmen zu erschlagen. Trotzdem bietet CASCADIA genug Varianz, um hier ein bisschen zu optimieren, da eine Runde über die richtige Wahl zu grübeln, ohne dabei auch nur einen Moment unübersichtlich oder langweilig zu werden.
Jedem Tierchen sein Pläsierchen
Hach… malerische Seen, verschneite Gebirge und dichte Wälder warten darauf, gebaut und bevölkert zu werden. Nur sollte man das Getier, das man ebenso wie die Landschaft aus einer Auswahl nehmen darf – aber nur gemeinsam im Doppelpack – nicht irgendwo anflanschen. Zu Beginn wählt oder zieht man eine der unterschiedlichen Aufgabenkarten. Fünf Aufgaben gibt es jeweils, die beschreiben, wie es die genannte Tierart denn am liebsten hätte. Mag sein, dass der Bär es jetzt gar nicht gut findet, wenn ein dritter Artgenosse die Zweisamkeit mit Mama Bär stört.
Oder aber die einträchtige Schar der Hirsche durch einen gestört wird, der am Rand aus der Reihe tanzt. Und der Bussard? Der möchte am liebsten gar keine Artgenossen um sich wissen, während der Fuchs froh ist, wenn sich ein Tier jeder Art um ihn schart. Die Aufgaben, unter denen es eine für Anfänger empfohlene Auswahl gibt, sind gut abgestimmt und bevorzugen keine Tierart. Alles ist schaffbar und es ist einfach nur reizvoll, möglichst viele der Übungen erfolgreich zu absolvieren. Aber einen Tod muss man bekanntlich sterben und nicht alles ist durch die wechselnde Auslage gerade zu bewältigen. In unseren Runden hatten wir schon Sieger, die möglichst breit aufgestellt waren und sich um die Bedürfnisse jeder einzelnen Tierart kümmerten, aber auch Experten, die mit ihrem unfassbar langen Lachsschwarm am Ende die Flosse vorn hatten.
Und ach, jetzt kann ich zusammen mit dem Wald den lang ersehnten Bär nehmen, nur hab‘ ich gar keine Stelle mehr, wo ich diesen ansiedeln kann. Denn die Landschaftsplättchen, auf denen immer zwei Landschaften nebeneinander abgebildet sind, geben vor, welche Tierarten dort heimisch werden dürfen. Mal ist nur eine in der Auswahl, mal derer drei. Damit steigen zwar die Möglichkeiten, aber nach wie vor kann nur ein Tier pro Plättchen gesetzt werden. Und schon geht es los, das muntere Planen. Nehme ich den Fluss, der mir zwar landschaftlich nicht so in den Kram passt, aber genau den passenden Lachs mitbringt, der mir noch fehlt? Oder greife ich zum Fuchs, der kaum noch Punkte bringt, und erhasche dafür ein Gebirge, um mein Areal zu vergrößern? Man muss nicht passend anlegen und ein Tier lässt sich zur Not auch immer beiseitelegen.
Beides ist aber nicht ideal, will man sich nicht die Chancen auf den Sieg verbauen.
Und damit irgendwann überhaupt noch Möglichkeiten für einen guten Zug vorhanden sind, sollte man beizeiten Tannenzapfen horten. Einige Plättchen bieten diese feil, wenn dort Tiere platziert werden. Setzt man den Zapfen ein, kann man bei der Auswahl Tier und Landschaft getrennt nehmen oder Plättchen tauschen. Bunkert man die Zapfen, bringen diese am Ende Siegpunkte – eine gute Strategie, wenn das Glück hold ist.
Etwas Glück braucht es schon
Und da wären wir auch wieder bei dem Stichwort, das manche schaudern lässt Jawoll, es gibt einen Glücksfaktor. Die Plättchen werden blind gezogen und wenn fünf Runden kein Bär kommt, dann kommt halt keiner. Zwar kann man – werden zu viele gleiche Tierarten gezogen – zu Beginn tauschen. Hilfreich ist das aber auch nicht immer. Und natürlich kann und soll es so sein, dass einer der Kontrahenten genau das Getier wegschnappt, für das man schon seit Beginn der Runde ein schattiges Plätzchen reserviert hatte. Machen wir uns nix vor, CASCADIA ist ein Glücksspiel. Aber das hat sich bei uns weder in der Zweispieler- und in der Mehrspielerpartie als negativ niedergeschlagen. Es hat jeden mal getroffen und meist lies sich noch ein neuer Plan entwickeln. Gut, bleibt der Bär halt alleine und ich züchte einen florierenden Lachsschwarm.
Apropos Spielerzahl – ich habe CASCADIA sehr häufig zu zweit und oft in Dreier- oder Viererrunden gespielt. Es funktioniert in jeder Besetzung tadellos, im Duell aufgrund der geringen Downtime natürlich am knackigsten. Kann nicht mehr nachgezogen werden, endet die Partie und das fleißige Punktezählen beginnt.
Sicher nicht neu, aber definitiv spaßig
CASCADIA erfindet das Rad wahrlich nicht neu, aber der Zwang, immer Tier und Landschaft zugleich nehmen zu müssen, bringt ausreichend frischen Wind in das Genre. Dazu kommt das wirklich hochwertige Material. Stabile Plättchen und Karten, Tiere auf Holzscheiben und ein schicker Stoffbeutel, da hüpft das Spielerherz. Die Regel ist übersichtlich, muss aber auch keinen allzu schweren Inhalt vermitteln. Allerdings hat sie direkt einige Varianten an Bord, zum Beispiel für das Solospiel.
Spiele kommen und gehen und nach anfänglicher Begeisterung verflüchtigt sich oft die erste Begeisterung. Bei CASCADIA bin ich mir sicher, dass es immer mal wieder auf dem Tisch landen wird. Und sei es nur, um einen vermeintlich eingefleischten Nichtspieler vom schönsten Hobby der Welt zu überzeugen.
Alex Schlüter
Randy Flynn: CASCADIA für 1 – 4 Personen ab 10 Jahren mit Illustration von Beth Sobel bei Alderac Entertainment Group und KOSMOS 2022, Spieldauer 30 – 45 Minuten
Dieser Text erschien in der 140. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.