EDITORIAL
Das kennen Sie: Einer will am liebsten nur seine mitgebrachten Spiele spielen, keine anderen, sonst wird der maulig am Tisch sitzen. Das macht keinen Spaß.
Ich will jetzt nicht mit Steinen schmeißen, schließlich ist es für unser Heft essentiell, dass meine Knechte die Spiele auch wirklich spielen, die sie besprechen sollen.
Es gibt da draußen auch Kritiker, die nonstop mit zig verschiedenen Menschen alle relevanten Neuheiten zu spielen. Im Grunde gilt sowieso: Wer sich in den Dunst eines Kritikers begibt, wird mit Neuheiten über Neuheiten traktiert. Ne, so schlimm ist es nicht, aber für eigene Favoriten bleibt dann nur die Zeit zwischen den Jahrgängen, das ist Urlaub von den Pflichtspielen. Der Urlaub ist jetzt gerade zu Ende.
Mit Kritikern zu spielen ist eigentlich eine Win-Win-Situation, nur so manche Graupe ist zu erdulden. Und was, wenn sich die Mitspieler meiner Knechte weigern, die Graupe nochmal zu spielen? Zieht dann mein Knecht eine Fleppe und erpresst seine Runde zu einer erneuten Partie? Wie oft wird das klappen, bevor die Gruppe ohne ihn weiterspielt? Irgendwann ist dann auch mal gut, da wird jedes Zusammenspiel aufhören. Wer spielt schon gerne mit Egoisten?
In solchen Situationen weht mich der Hauch der „Spieltheorie“ an, denn mit der werden Entscheidungen simuliert. Als Pferd bin ich da schnell raus, aber ich habe letztens etwas über die „Extortioner-Strategie“ gelesen, bei der ein Erpresser seine „Mitspieler“ unter Druck setzt, um mehr für sich selbst herauszuholen. Erpresst ein Rezensent die Spielrunde, um Rezensionen schreiben zu können? Meine Knechte ködern ihre Runden eher für eine Win-Win-Situation. Gewisse Zugeständnisse sind notwendig, sonst läuft das nicht langfristig. Aber was ist, wenn ein erpresserischer Kritiker seine Mitspieler nur benutzt, um seine Neuheiten „abzuarbeiten“. Wäre ja ziemlich doof, so rücksichtslos zu agieren, nur um letztlich alle Mitspieler:innen zu verprellen.
Nach der „Spieltheorie“ ist die Erpresser-Strategie aber vorteilhaft, sofern man ansonsten wie gewöhnlich kooperiert. Die anderen werden die Erpressungen hinnehmen, weil es sonst auch zu eigenen Verlusten kommt. Erpresser-Strategien scheinen also doch zu funktionieren.
Und warum fällt mir gerade dieser Ministerpräsident ein? Gibt sicher noch andere Politiker, Regierungen oder Despoten, die so agieren. Aber ab einem gewissen Grad der Erpressung müssen wir uns unter Verlusten von den Erpressern befreien oder muss selbst zum Erpresser werden. Passiert ja gerade. Kooperation ist auf Dauer also schwierig, aber nach „Spieltheorie“ der langfristig erfolgreichere Weg.
Es gibt Verlage, die verlangen Geld für Rezensionsexemplare oder geben erst gar keine heraus. Letzteres ist Politik, ersteres aber eine eindeutige Erpresser-Strategie. Nicht auf Kosten der Fairplay, sondern auf Kosten aller Verlage, deren Spiele wir unentgeltlich erhalten. Für die SPIEL’22 machen wir das jetzt deshalb so, dass wir nur noch kostenfreie Rezensionsexemplare auf unser Scout-Regal stellen. Und wir stellen auch kein Spiel des ausländischen Lizenzgebers mehr aufs Regal, wenn der deutsche Verlag sich nicht darauf einlässt. Mit diesem Vorgehen sind wir nicht einmal in schlechter Gesellschaft. Das wir so agieren, ist dem Erlebnis während der letzten SPIEL geschuldet. Diese Entscheidung fiel uns gar nicht schwer, Kraft kostet sie auch keine, denn die allermeisten Verlage kooperieren.
So, jetzt freue ich mich aber wirklich auf die kommende SPIEL in Essen. Kommt vorbei, schnackt mit uns, aber fragt bitte nicht am Donnerstag nach den besten Spielen der Messe. Wissen wir doch nicht… Macht lieber bei unserer Scoutaktion mit! Die haben wir weiter digital aufgepeppt.
Die Anmeldung ist jetzt deutlich einfacher. Dafür müssen Sie allerdings immer noch bei uns am Stand vorbeikommen (Halle 3-K102). Wie es genau geht, steht hier im Heft. Abonnentinnen finden den Scout-Ausweis im Heft oder im Briefumschlag. Also besser nicht gleich alles in den Papier-Recycler werfen.
Wir sehen uns in Essen
Ihr Harry
Dieser Text erschien in der 141. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.