Eine Heimsuchung für Trophy Dark
Fairplay: Vor kurzem hast du dein Abenteuer „Gläserne Revolution“ veröffentlicht. Im Rollenspiel kann ich die Perspektive wechseln, aber warum gerade in das grimmige Leben von Fabrikarbeiter:innen während der Industrialisierung?
Florian Kalenda: Tatsächlich stand am Anfang die Überlegung, wie wohl Industrialisierung in einer Fantasywelt aussehen könnte. Und wie die Menschen so sind, würden sie wohl Drachen einsperren und misshandeln, um die heiße Flamme des Atems für die Herstellung von Gütern zu nutzen. Zum Beispiel Glaswaren.
FP: Stimmt, das erscheint mir durchaus realistisch. Aber es geht nicht nur um Glas, sondern auch um Revolution. Ist das nicht Kurt Eisner auf Seite 27?
FK: Er sieht nur so aus… Die gescheiterte Münchner Revolution von 1918, die Eisner anführte, hat mir wirklich zahlreiche Anregungen gegeben. Aber im Kontext des Abenteuers spielt das keine Rolle. Vielmehr sage ich den Spielenden: Das ist der Revolutionsführer Besner aus Robur. Ihm müsst ihr folgen, wenn ihr eure Knechtschaft in der Fabrik beenden wollt. Seit Jahren habt ihr darauf hingearbeitet, habt nachts heimlich mit Waffen geübt und arkane Künste erlernt. Heute ist der Tag.
FP: Heute geht es los? Oh, dann viel Glück! Was mich übrigens gewundert hat: „Gläserne Revolution” wird gar nicht als Abenteuer, sondern als Heimsuchung bezeichnet. Das hört sich so an, als ob Besner mehr als Glück braucht. Warum Heimsuchung?
FK: Im englischen Trophy-Regelwerk heißen die Abenteuer „Incursions“, also ungefähr „Überfälle“. Ich finde da „Heimsuchung“ eine schöne, assoziationsreiche Übersetzung. Übrigens ist wichtig, dass offenbleibt, wer hier wen überfällt oder heimsucht. Das finden wir heraus, indem wir spielen. Oft sind die Spielfiguren in Trophy Dark eher die Bösen als die Guten.
FP: Oh, interessant! Trophy ist das Rollenspielregelwerk, auf dem „Gläserne Revolution“ beruht. Was macht Trophy aus?
FK: Trophy Dark ist ein einfaches Rollenspiel mit nur etwa fünf Regelbausteinen. Anders als bei seiner jüngeren Schwester Trophy Gold spielen wir in drei bis fünf Stunden eine abgeschlossene Geschichte, die übel ausgeht. Die Protagonist:innen können froh sein, wenn sie mit dem Leben davonkommen. Eine Heimsuchung gibt immer fünf Kapitel vor. Trotzdem entwickelt sich die Geschichte jedes Mal unterschiedlich. Die Spielenden beantworten nämlich Fragen zu ihrer Welt und liefern auch im Rahmen der Spielzüge Elemente zu, für die in traditionellen Rollenspielen allein die Spielleitung verantwortlich ist.Und schließlich ist an Trophy ganz toll, dass der Autor Jesse Ross die Regeln zur Nutzung durch andere freigegeben hat, was es mir ermöglicht hat, der Gläsernen Revolution alles Nötige beizupacken.
FP: Darüber habe ich sehr gestaunt. Da ist ja schon alles drin. Sogar mit Beispielen! Welche Spielregeln/-elemente von Trophy Dark gefallen dir besonders?
FK: Der Gefahrenwurf ist großartig. Er ist das Pendant zum Attributs- oder Rettungswurf in anderen Systemen, aber alle tragen bei, was schiefgehen kann. Dadurch passieren manchmal unglaubliche Dinge, die niemand vorausgesehen hätte. Mein Lieblingselement ist aber ein anderes: Die Verderbnis. Ein abstrakter Wert, der besagt, wie nahe eine Spielfigur dem Ausscheiden ist. Also ungefähr Lebenspunkte, Moral und geistige Stabilität in einem. Parallel zu einem Anstieg der Verderbnis erhält die Figur eine Beeinträchtigung, die ihn anschaulich macht. Das ist ein mächtiges Werkzeug für jede Art Story: In Gläserne Revolution bedeutet ein Anstieg der Verderbnis meistens, dass die Figur weniger Lust hat, sich für die gesellschaftliche Erneuerung aufzuopfern und lieber plündern und fressen möchte. Die Moral sinkt.
FP: Dann sieht es für die Revolution in Robur nicht so gut aus. Wenn unser Scheitern schon vorherbestimmt ist, fühlt sich das beim Spielen nicht merkwürdig an?
FK: Ganz klar: Kein Rollenspiel eignet sich für jede und jeden. Es gibt Leute, die nicht gern „Play to Lose“ spielen, also im Wissen, dass es böse endet. Ich war vor meiner ersten Runde Trophy Dark als Spieler auch skeptisch, habe es dann aber als richtig befreiend empfunden. Ich konnte meine Figur extreme Dinge tun lassen. Es kam ja nicht drauf an. Von anderen habe ich Ähnliches gehört. Ich kann also nur raten: Probiert es aus.
FP: Vielen Dank!
Die Fragen stellte Marcus Eibrink-Lunzenauer.
Jesse Ross: TROPHY DARK für 3 – 5 Personen bei Hedgemaze Press und Gauntlet Publishing 2018, Print 2022, https://www.trophyrpg.com
Florian Kalenda: GLÄSERNE REVOLUTION für 3 – 5 Personen im Eigenverlag 2022, https://florik.itch.io/glaeserne-revolution
Dieser Text erschien in der 141. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.