Dein Waterloo in der Karibik
Ich gehe lieber auf Nummer Sicher. „Auf den Winden von Galecrest“ muss doch irgendwas bedeuten, da schaue ich besser nach. Die erste Spur führt mich zu Straßennamen in den USA. Also doch eine Bedeutung, ansonsten spuckt Google nur das Spiel aus. Merkwürdig… Und auch die Übersetzung führt nicht weiter: Galecrest gibt es nicht als Wort in „dict.cc“. „Gale“ bedeutet so etwas wie Sturmwind, Orkan, steife Brise und „crest“ ist vielfältiger übersetzbar. Vielleicht bedeutet Galecrest so etwas wie stürmischer Wellenkamm, aber das passt nicht zu „Auf den Winden von…“. Bei den Straßennamen würde ich auf stürmische Kuppe oder stürmischer Grat tippen, was topologisch eher passt. Aber bei Piraterie!? Was soll es bedeuten?
Entscheidend sind natürlich Piraten, nur sind sie in der Neuauflage knuffige Tiere und nicht mehr martialische Männer, zarte Frauen oder freche Affen. Die kennen wir aus „Fluch der Karibik“ bzw. der ersten Version von LIBERTALIA. So richtig bin ich damals mit der Grafik nicht warm geworden. Hätte ich die alte Version nur schon verkauft, hätte sie so Einiges eingebracht. Hätte, hätte, Ankerkette… Ich habe das Spiel so tief in meiner Sammlung vergraben, dass überhaupt keinen Schimmer hatte, wo ich suchen sollte. Nur wer gar nicht danach sucht, findet so ein Schätzchen wieder, aber natürlich erst jetzt passend zur Neuauflage.
Ja, es gibt Änderungen. Diese Neuauflage ist optisch viel heller und familientauglicher. Auf den ersten Blick vielleicht, aber LIBERTALIA ist überhaupt kein braves Spiel. Es geht hier ums Hauen und Stechen, ums Einstecken und Austeilen. Piraten gönnen sich untereinander einfach nicht die Butter auffem Säbel. Und das Spiel schafft es auch immer wieder, mich unzufrieden, manchmal sogar eher ein klein bisschen böse und nachtragend zu machen. Definitiv nicht unbedingt familientauglich, eher was für Austeiler und Abkönner.
Abkönner müssen abkönnen, dass sie nichts dafür können, dass sie es abbekommen. Weder für die Karten, von denen wir alle drei Runden sechs neue gleiche zugeteilt bekommen, noch dafür, dass hier ein Pirat zum Opfer werden kann. Dafür sorgen schon die Karten und die fiesen Piraten, die noch mit am Tisch sitzen. Werden da etwa offene Rechnungen beglichen, wird völlig sachfremd gespielt? Nun will ich mal nicht den Totenkopf auf den Spieltisch malen, aber LIBERTALIA ist beileibe kein friedliches Spiel. Austeilen und einstecken… Manchmal ist es auch friedliches Nebeneinanderherspielen, bis dann doch die Meuchelei beginnt. So die Karten es denn wollen und alle die Interaktionen der Karten und der Auslage verstanden haben. Das Piratenleben ist teils beschwerlich und so einfach eben auch nicht.
Wir alle haben den gleichen Satz aus 40 Karten. Pro Reise – sprich Runde – werden sechs Karten von einem Spieler gezogen, und alle nehmen die gleichen Karten aus ihrem Stapel. In der ersten Reise spielen wir vier Karten aus. Jede Karte kommt mit der Rückseite nach oben ins Spiel, gleichzeitig wird aufgedeckt. Zwei bleiben nach der ersten Reise übrig. Für die nächste Reise kommen sechs dazu, fünf Karten spielen wir aus. Für die letzte Reise kommen wieder sechs dazu und sechs Karten spielen wir aus. Die Auswahl an Karten vergrößert sich also … nur ein bisschen.
Alles klar, Herr Kapitän? Dann mal ho, ho, ho… Karten ausspielen … Als aufsteigende Zahlenfolge kommen sie auf das Spielbrett – was nichts anderes ist, als eine optisch leicht aufgepeppte Spielhilfe mit Regeln und Anweisungen. Wir wickeln erst die Tagphase in aufsteigender Reihenfolge ab, dann kommt die Nachtphase und das Nehmen der Beutemarker in absteigender Reihen folgt. Nicht jede Karte spielt da in den Phasen mit. Es wird gemeuchelt und vereitelt, die Planungen werden durcheinander geschmissen. Das kann ja was werden, wenn dieselbe Nummer gespielt wird. Bei Gleichstand kommt die Karte von dem Piraten weiter nach rechts in die Reihe, der auf der Ruhmleiste ebenfalls weiter rechts steht. Aha, noch so eine erst unterschätzte Kleinigkeit, die aber besonders im Spiel zu zweit ausschlaggebend sein kann. Passende Karten können die Position auf der Ruhmleiste verändern.
Aber was machen denn die Karten überhaupt? Bestenfalls passen sie gut zusammen, verstärken Effekte, bilden gute Kombis. Und wenn nicht? Dann reicht es hoffentlich noch für ein Hauen und Stechen. Und wenn selbst das nicht? Dann ist das Pech, ganz großes Kartenpech. Wie viele der 40 Karten kommen davon pro Partie ins Spiel? Haben Sie weiter oben mitgerechnet? Sie haben nach der ersten Reise noch zwei, nach der zweiten Reise drei und nach der dritten Reise ebenfalls noch drei Karten nicht ausgespielt. Manche davon wollen Sie auch gar nicht verwenden, denn diese Karten richten auf Ihrem Schiff oder Punktekonto verheerende Schäden an. Solche „bösen“ Karten schränken die Auswahl deutlich ein. Oder Sie beißen in den sauren Apfel und bereiten ein möglichst schadenfreies Ausspiel vor. Aber haben Sie dafür gerade die richtigen Karten?
Klar, manche Karten können gut miteinander, manche weniger. Die Bandbreite ist wohl so gewollt. Und es kann böse ausgehen, da hier direktes Zusammenspiel gegen einen Mitspieler möglich ist. Jeder der später diese Karte ausspielt, schaut in die Röhre bzw. hilft nur den anderen Piraten, die diese Karte zurückhalten. Die „Windnymphe“ und die „Adelige“ gehören in diese Kategorie. Wer die alleine ausspielt, verhindert fast automatisch, dass jemand anderes diese Karten auch noch ausspielen wird. Jede „Windnymphe“, jede „Adelige“, die ich dann noch ausspiele, schadet zwar dem Erstausspieler, bringt mir aber nix und erlaubt zudem den anderen Piraten, diese Karte endlich mit Gewinn ausspielen zu können. Unbefriedigend. Oder habe ich deren Funktion nur falsch verstanden. In der ersten Partie haben wir lange um die Funktionen der beiden Damen diskutiert.
Überhaupt kann es unglücklich laufen, vielleicht auch mal exzellent. Wie gesagt, die sechs/acht/neun Karten der drei „Reisen“ müssen schon irgendwie zueinander passen. Das ist nicht immer gewährleistet und mit mehr als zwei Personen längst nicht kalkulierbar, wer wann welche Karte spielen wird. Mit mehr Erfahrung mag das besser zu kalkulieren sein, aber als blutiger Anfänger kann es auch blutig ausgehen. Gott, was bin ich schon vor die Planke gelaufen, zumal das Nehmen der Beutemarker und deren positive wie negative Auswirkungen wohl erwogen sein müssen. Und auch die Wirkungen der Beutemarker in der zufälligen Auslage müssen alle genau kalkulieren. Wie hoch müssen sie bei den Piratenkarten einsteigen, damit sie früher als die anderen zugreifen können, um entweder keinen Schaden zu erhalten oder wem anders schaden zu können. Das ist doppelbödig und auch sehr zufällig, was da abgehen wird. Trotzdem ist auch Freude im Spiel, wenn die eigene Planung aufgeht, und sei auch aus purem Glück. Ho, ho, ho…
Was denken Sie jetzt? Mag ich das Spiel oder mag ich es nicht? Haben Sie zwischen den Zeilen gelesen? Zu zweit, und nur zu zweit, ist LIBERTALIA für mich ein brauchbares, sogar gutes Spiel. Ich halte nach, welche Karten mein Gegenüber für die zweite Reise übrig behält und was damit auf mich zukommen kann. Wenn nur Sie und ich spielen, geht das noch. Und außerdem spielt dann auch noch das große Plättchen des Fähnrichs mit. Der hat den Wert 20,5 und sorgt per Fähigkeit dafür, dass wer als einziger links von ihm die Karte ablegen muss, einen Beutemarker der aktuelle Reise nach Wahl des Gegners nicht mehr nehmen kann. Da lauert jede Menge Unbill, erfordert also auch besondere Kalkulation, um bloß nicht allein links von der 20,5 ablegen zu müssen oder um rechts vom Fähnrich ablegen zu dürfen. Sie erinnern sich: Aufsteigend von links nach rechts die Piratenkarten ablegen, aber von rechts nach links die Fähigkeiten und das Nehmen der Beutemarker abwickeln. Da ist dann doch mehr Taktik im Spiel, als erst vermutet.
Die große Abrechnung erfolgt dann am Ende. Die Beutemarker und Ankerfunktionen der dann noch ausliegenden Karten werden abgerechnet. Viele Piratenkarten sind dann längst auf dem Friedhof gelandet oder vielleicht wieder von den Toten auferstanden. Die Abrechnung ist gar nicht so kompliziert.
Nur aller Anfang ist schwer, die Anleitung macht blutigen Anfängern zu schaffen. Die ist zwar kurz, aber an einigen Stellen schwer verständlich, solange noch keine Partie gespielt worden ist. Mit Erfahrung geht’s, mal abgesehen von den Zufälligkeiten bei den gezogenen Karten und der Böswilligkeit der Piraten, die um den Tisch sitzen.
Hatte ich erwähnt… dass … Moment. Nein, hier kommt nicht noch eine Regel. Es geht um die Optik und die redaktionelle Bearbeitung. Optisch finde ich das neue LIBERTALIA viel besser. Auch der Spielplan ist besser und unterstützt das Spielen sehr gut. Und er hat sogar zwei Seiten mit unterschiedlichen Auswirkungen für die erhaltenen Beutemarker. Spielen Sie ruhig auf der dunklen Seite. Es wird härter und gleichzeitig wird die Beute fetter. Aber es lauert auch die Gefahr des Schiffbruchs, des Untergangs, des Frusts und Ärgers. Seien Sie also vorsichtig bei der Wahl ihrer Mitspieler:innen. Die müssen das einstecken, wenn Sie austeilen und umgekehrt. Das Piratenleben ist kein Zuckerschlecken, ohne Hauen und Stechen geht es gar nicht. Manchmal auch nicht ohne den Austausch von Bösartigkeiten. Hauptsache, jeder darf mal austeilen… Und will das auch!
Wolfgang Friebe
P.S.: Mit dabei ist auch ein Automat fürs Solospiel. Da ich gar nicht allein spiele, es überhaupt nicht mag, nur gegen das Spielsystem zu spielen, schweige ich hier stille.
Paolo Mori: LIBERTALIA: AUF DEN WINDEN VON GALECREST für 1 – 6 Personen ab 14 Jahren mit Illustration von Lamaro Smith bei Feuerland Spiele und Stonemaier Games 2022, Spieldauer 45 – 60 Minuten
Dieser Text erschien in der 141. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.