Fairplay 147 – Editorial

EDITORIAL

Früher, sehr viel früher, als es noch keinen digitalen Graben gab und alles langsam und per Post kommuniziert wurde, da haben sich Sammler lange Listen über Spiele zugeschickt. Samt Preiswünschen und Zustandsbeschreibungen. Dahinter verbarg sich damals so allerhand. „Raucherhaushalt“ bedeutete stinkendes Spiel zur Auslüftung. „Unterschriftsschaden“ hatte einen Namenszug auf dem Cover. „Preisschildschaden“, wenn eben jenes unsachgemäß abgerissen worden ist. Quasi die Krönung aller Schäden war der „Tesaschaden“, was alles mögliche bedeuten konnte.


Berüchtigt war das komplette Zukleben der Schachtel mit Paketklebeband. Solche verunstalteten Spiele wollte doch keiner. Abgeriebene Schachteln übrigens auch nicht. Meine Knechte erst recht nicht. Nichtsdestotrotz kamen einem solche Spiele unter, denn mancher Sammler hatte dafür entweder keinen Blick oder war einfach skrupellos. Bei einen Schlawiner aus Bonn kaufte dann keiner meiner Knechte mehr. Never ever! Diese ganzen Schäden führten bei mir nur dazu, dass auch Signaturen von Autoren und Grafiker zu Unterschriftsschäden zählten. Ich wollte nämlich schon immer makellose Schachteln. Nur die kann ich liebevoll streicheln.


Und jetzt sorgen sogar Verlage für Tesaschäden. Ich hab’ die selbst gesehen. So Schäden, die unter dem Deckmäntelchen der Nachhaltigkeit toleriert werden müssen. Ne, so böse meine ich es jetzt doch nicht, denn Nachhaltigkeit bei Spielen finde ich super. Ganz besonders die Kartenpakete, die in Papier eingeschlagen sind. Holz statt Plastik ist mir sogar sehr recht. Aber diese fetten Plastik-Miniaturen? Das ist gar nix in Sachen Nachhaltigkeit, aber anscheinend hipp. Was die Leute da für Unsummen ausgeben, weiß sicher nur Kickstarter ganz genau.

Eigentlich ist unsere Branche immer schon sehr nachhaltig gewesen. Alles aus Pappe, Karton, Papier oder Holz. Lässt sich prima recyceln. Echt?! Haben Sie jemals ein Spiel komplett in den Müll geworfen. Mag ich ja nicht glauben, Figuren und Würfel haben Sie doch sicher behalten. Und all das Material sammelt sich bis heute irgendwo bei Ihnen an. Man weiß ja nie, vielleicht fehlt irgendwann genau so ein Püppchen in dieser Farbe. Ich habe jetzt ganz bewusst nicht Meeple geschrieben, früher hießen die Dinger tatsächlich Püppchen. Jedenfalls in meinem Stall, und das war gar nicht sexistisch gedacht. Die Omma ließ gerne die Püppchen bei MENSCH ÄRGERE DICH NICHT tanzen.


Zu Ommas Zeit wurden Spiele ebenso wie Bücher ohne Schutzfolie verkauft. Da wurde Jungfräulichkeit noch nicht so hoch gehandelt, da wollte noch niemand die Folie runterreißen, um sich am leckeren Duft von Farbe und Lösemittel zu laben. Diese Freude ist jetzt zunehmend vorbei. Die Schachteln kommen unfoliert in den Handel, was ebenso wie die papierverpackten Kartenstapel schön nachhaltig ist. Die Schachteln sind allerdings immer an mindestens zwei Stellen zugeklebt. Könnt’ ja sonst jemand auf die unmögliche Idee kommen, die Schachtel im Laden zu öffnen. Ne, das geht gar nicht! Aber Diebstahlschutz muss sein, deshalb haben wir Aufkleber an der Backe.

Einige lassen sich rückstandsfrei lösen, bei Ravensburger und Lookout zum Beispiel. Da sind sie aber auch aus Plastik, ist das dann ein Nachhaltigkeitsschaden? Nicht ganz nachhaltig, aber besser als jeder Tesaschaden auf der Schachtel. Schmidt Spiele setzt mit e-MISSION aktuell Maßstäbe. Deren Verschlussaufkleber aus Papier sind gut für eben jenen Tesaschaden. Aber da weiß auch ein Knecht Abhilfe, die schon seit erdenklicher Zeit praktiziert worden ist: Fönen, bis der Kleber nachgibt. Ein ganz anderer Nachhaltigkeitsschaden. Welcher ist nun besser? Ich alter Spieleschachtelstreichler bin da ziemlich zwiegespalten, denn Nachhaltigkeit ist per se eine gute Sache. Also was tun? Mit durchsichtigem Plastik oder mit Papier zukleben? Aber mit dem unsachgemäßen Umgang beim Handel ist auch noch zu rechnen. Also zurück zur Folie!?


Ihr ratloser Harry

Dieser Text erschien in der Fairplay Nr. 147 (Frühling 2024).

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