Editorial 114

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist doch zwingend, dass sich das Junge vom Alte absondert, bestenfalls neue, mindestens andere Wege wählt. Was haben wir Altvorderen der Fairplay vor 20, 25 Jahren von der Altherrenriege in der Jury gehalten? Natürlich hat sich das selbst dann nicht geändert, als ein Fairplayer als important person in die Jury berufen wurde. Wer uns schon lange liest, weiß um unsere ganz besondere Sichtweise auf die damalige Jury. Wenn die Aufnahme eines Fairplayers damals zur Ruhigstellung gedacht war, so ist der Plan kein Stück aufgegangen. Wir haben sie weiterhin belächelt, ob ihrer freundlichen Rezensionen und ihrer selbst erkorenen kulturellen Verantwortlichkeit. Uns ging deren Auswahl der prämierten Spiele oft gegen den Strich. Wir waren Szene und die nur Mainstream.

Wir spielten und mochten Spiele jenseits des Massenmarkts, die Spiele der Nischenverlage, komplexer und anspruchsvoller als nominierte oder prämierte Spiele. Wir waren der Jury um sieben Meilen voraus und blickten rechtschaffen auf sie herab. Wir hatten den dicken Hammer und setzten ihn auch ein. Zumindest warfen wir zeitweilig schön regelmäßig mit Steinen. Heute eher selten, denn die Herren in der Jury sind teils tatsächlich jünger als wir.

Und jetzt?! Mal abgesehen von meiner Erkenntnis, heute selbst zu den Alten zu gehören, spüre ich bei den nachkommenden Rezensenten intensive Leidenschaft, besonders natürlich bei den Youtubern. Da wird Neuheit um Neuheit in die Kamera gehalten, oft nur mit der News „kommt bald, ist toll, bin schon sehr gespannt.“ Bei den Neuen ist so viel flammende Begeisterung, dass der erforderliche Abstand für echte Kritik mir nicht erkennbar ist. Oder bin ich nur als langjähriger Spielekenner bereits zu abgewichst und habe meine Leidenschaft fürs Spielen verloren? Abgewichst mit Sicherheit, denn zu viele belanglose Spiele haben meinen Weg gekreuzt, aber die Leidenschaft fürs Spielen ist mir nie dabei abhandengekommen. Wie auch, wenn ich mich sogar mit Graupen beschäftige.

Auch wenn es kaum mehr handwerklich wirklich schlechte Spiele gibt, manchmal muss der Hammer doch noch raus. Spiele ohne eigenen Charakter, ohne Emotionen, sind die schlechten Spiele von heute. Ich hoffe, auch die Youtuber kommen irgendwann von ihrer ungebremsten Leidenschaft herunter, werden wirklich zu ernstzunehmenden Kritikern. Manch einer hat das geschafft. Und wer in der Jury sitzt, darf ja auch kein Geld – weder von Youtube noch von Verlagen – annehmen. Gibt aber genügend andere, die so gut wie jedes Spiel toll, super, klasse finden oder völlig distanzlos den Verlagen Werbung in eigener Sache erlauben. Wo ist denn da bitte die redaktionelle Arbeit, wo wird da kritisch berichtet? Und wo ist da der Mehrwert für mich, wenn mir unreflektiert Spiel um Spiel präsentiert wird, als wäre das ein bleiwüstiger Messebericht nur in Bildern? Diese distanzlosen Filmchen gehen mir allerdings zunehmend auf den Senkel. So wie wahrscheinlich damals der Altherrenriege um Thole und Werneck unsere regelmäßigen Breitseiten auf den Wecker gingen.

Wo führt also der Weg hin? Schaffen es wie einige Youtube-Stars auch die Youtuber in der Spieleszene Einkommen mit ihren Videos zu generieren? Wohl wissend, dass sie nur ein Nischenthema beackern, denn die Unterschiede in der Abonnentenzahl zu anderen Branchen sprechen da Bände. Die Zuschauer zahlen dafür ja nix, wer bezahlt die dann? Gibt ja nur aus zwei Ecken Geld: Werbeerlöse von Youtube und Verlage, deren Spiele präsentiert werden. Gibt ja auch noch eine dritte, saubere Art der Bezahlung. Sie sammeln Spenden für ihre Arbeit ein, was legitim ist. Natürlich gibt’s dafür im Netz Plattformen wie Patreon, über die Geld für deren Projekte einsammelt wird. Ist ja Ihrem Abonnement nicht unähnlich.

Mir scheint allerdings, dass es bei Spiele-Bloggern und Youtubern eher darum geht, Geld zu machen, als wirklich redaktionell zu arbeiten. Scheint auch wirklich toleriert, sogar bejubelt zu werden. Wie glaubhaft ist das aber? Ist das der richtige Weg, um sich als nachkommende Generation von uns Alten abzusetzen? Gut, sie könnten uns vorhalten, dass auch wir von kostenlosen Rezensionsexemplaren korrumpiert sind. Tja, dann haben die unser Heft wohl nie wirklich gelesen.

In diesem Sinne,

Ihr Harry

10 Kommentare zu „Editorial 114“

  1. Ich glaube tatsächlich, dass der Unterschied einfach im Professionalismus liegt. Die Schreiberlinge der Fairplay tun das Hauptberuflich, die meisten Blogger und Youtuber machen das in ihrer Freizeit – evtl. auch mit dem Ziel, Geld zu verdienen aber halt trotzdem in der Freizeit neben dem Hauptjob / Schule / Studium. Bei den Freizeit-Rezensenten kann ich es dann durchaus nachvollziehen, wenn die ihre Auswahl einfach nach persönlichem Geschmack treffen. Wenn ich mir in meiner Freizeit die Mühe machen würde, ausführliche Videos über Brettspiele zu drehen, würde ich auch erstmal die nehmen, die mir persönlich sehr gut gefallen und dementsprechend positiv würden die Videos auch ausfallen. Spiele, die ich blöd finde, würden es da überhaupt nicht in meinen Kanal schaffen, ich meine, warum sollte ich mich in meiner Freizeit mit spielen beschäftigen, die ich nicht mag?

  2. Hallo Fairplay,

    gestern habe ich Euch zum aktuellen Fairplay-Editorial einen spontanen Kommentar geschrieben, der bisher nicht veröffentlicht wurde. Das braucht Ihr auch weiter nicht zu tun (und diesen hier auch nicht), denn ich würde ihn so nicht wieder schreiben.
    Ich finde manches an der Fairplay zwar auch weiterhin nicht gut, aber es tut mir leid, wenn ich gestern zu hart war und vielleicht selber Euch Unrecht getan habe.
    Bitte verzeiht mir!

    Vielleicht könntet Ihr ja trotzdem mal vorsichtig Eure Selbstwahrnehmung überprüfen. *liebsag* 😉

    Noch eine Stellungnahme zu Spielevideos à la Hunter&Cron und Cliquenabend: Sie sind ein fester, weil sehr hilfreicher Informationsort für mich geworden. Deren Berichterstattungen, in denen man quasi „live“ ein Spiel gezeigt bekommt und es einem anhand des aufgebauten Spiels erklärt und manchmal sogar live an- oder durchgespielt wird, sind für mich viel,viel aussagekräftiger und damit hilfreicher als ein sehr subjektives und (oft kurz) geschriebenes Testtelegramm eines vielleicht auch noch überheblich erscheinenden Testers.

    Liebe Grüße und eine besinnliche, gesegnete Weihnachtszeit!

  3. Hallo "alte" Rebellen;
    bitter bitter -wenn man im „alter“ so verbittert wird. Ich nutze mit 45 Jahren viel youtube Brettspiel Videos. Sicherlich gibt es dort unterschiedlich Qualitäten, aber die Welt ist größer geworden. Ich glaube ja auch nicht alles, was die Fairplay so schreibt. Ich glaube schon, dass der normale youtube Zuschauer kritisch die Aussagen der „Blogger“ beobachtet. Ich selbst habe den ein oder anderen Brettspiel Kanal wieder gelöscht. Ob ich das auch mal mit der Fairplay mache? Bestimmt….
    MfG Markus M.

  4. Wolfgang, meinst du nicht, dass du hier etwas zu sehr verallgemeinerst?

    Es gibt m. E. durchaus seriöse "Spiele-Blogger und Youtuber", denen man es anmerkt, dass sie mit Leidenschaft UND Fachwissen dabei sind. Solche, die sich nicht zu schade sind, auch kritische Anmerkungen zu machen.

    Apropos: "Spiele jenseits des Massenmarkts, die Spiele der Nischenverlage, komplexer und anspruchsvoller als nominierte oder prämierte Spiele" sind nicht automatisch besser oder interessanter, sondern werden einfach nur mehr gehypt. So nach dem Motto: "Muss ja gut sein, habe schließlich eines der wenigen Exemplare bekommen!" ;o)

    VLG
    Jost

  5. Hallo Harry,
    Welche Youtuber meinst du genau damit? Ich bin großer Fan der Arbeit von Martin Klein, aber auch Hunter & Cron oder Benjamin Törk.
    Ich glaube kaum das einer von denen seinen Lebensunterhalt mit Youtube finanzieren kann. Die Jungs haben alle das große Hobby Brettspiele und möchten dieses mit so vielen Leuten wie möglich teilen. Sie werden mit den Videos viel mehr Menschen erreichen als andere Medien.
    Vielleicht sollte die Fairplay sich überlegen, auch einen YouTube-Kanal zu eröffnen…

  6. Hallo,
    vielen Dank für diesen Kommentar. Wir kommen dem Wunsch, den ersten Kommentar nicht zu veröffentlichen, gerne nach.
    Alles Gute und ein frohes Fest wünscht
    Kathrin.

  7. "Die Schreiberlinge der Fairplay tun das Hauptberuflich"
    Mitnichten. Ich bin etwa Development Architect in der Software-Branche, und auch die anderen Fairplayer gehen anderen Hauptberufen nach.
    Alles Gute von
    Kathrin.

  8. Guten Tag Hunter
    Guten Tag Harry

    Via Hunter und Cron bin ich auf das Editorial 114 der Fair Play aufmerksam geworden.

    Selbst habe ich diesen Herbst eine Seite zum Thema Brettspiele gestartet. Diese ist noch im Aufbau. Bereits jetzt sehe ich schon, wie viel Arbeit in einer solchen Homepage steckt. Deshalb kann ich Dich, Hunter, verstehen, weshalb Deine Reaktion so emotional ausgefallen ist. Vielleicht wäre eine weiter Nacht darüber schlafen nicht schlecht gewesen.

    Folgende Punkte sind mir aufgefallen:

    1. Harry ist nicht Mainstream sondern Szene. Findet er selbst.
    2. Harry blickt rechtschaffen auf die Jury herab. Findet er selbst.
    3. Harry erfreut sich daran, dass die YouTube Stars der Brettspielwelt weniger populär sind als andere YouTube Stars. (Brettspielszene ist nur durch Harry definiert, weshalb ich mit den Begrifflichkeiten etwas ausweichen muss.)

    Meine Kritik am Editorial

    1. Die Kritik ist sehr allgemein gehalten. Dies spricht nicht gerade für einen Redakteur welcher Spiele sachlich und anhand fundierter Kenntnisse beurteilt.
    2. Der Schreiber neigt zur Selbstverherrlichung und meidet die Selbstreflektion.

    Mein Fazit:

    Die Berichte der YouTuber sind tatsächlich meist positive Berichte. Sie öffnen dadurch auch für viele Nicht- und Wenigspieler die Tore um ein Teil der Brettspielwelt zu sehen und zu erleben. Genau wie die Jury, mit welcher ich bei den Entscheidungen nicht immer einig bin, leben sie die Mission mein Hobby zu verbreiten. Dies mit einer Freude und Euphorie welche ansteckend sein darf oder besser sein soll. Rezensionen finden sich in Zeitschriften oder Blogs zu Hauf. Wenn die Beratung im Fachhandel stimmt, kann darauf sogar verzichtet werden.

    Das verbreiten des Hobbys ist aus mehreren Gründen äusserst wichtig. Mehr zahlende Käufer führen zu einer grösseren Produktion von Spielen und so zu einer grösseren Vielfalt und Auswahlmöglichkeit bei den Spielen. Es gibt mehr Spieleclubs und es wird einfacher Mitspieler für Spielerunden zu finden.

    Ich unterstütze deshalb Hunter & Cron, schätze Cliquenabend und Spielama. Daneben lese ich auch Zeitschriften wie die Spielbox und Spiel doch.

    So gehöre ich halt nicht zu Harry’s Szene und bin nur Mainstream. Ich freue mich aber, lieber Harry, dass Du schon so lange spielst wie ich und dass auch Du älter wirst. Ich hoffe, dass Du in Deiner Szene noch viele Mitspieler findest und vor allem auch Leser deines Szenemagazins. Auch Inserenten wünsche ich Dir. Schliesslich benötigen wir alle Geld um zu Leben und Spiele zu kaufen.

    Zum Schluss noch dies an Harry und alle welche für Ihre Leserschaft und Kunden vor denken wollen. Die meisten Leser sind mündig und bilden sich ihre Meinung selber. Gute Blogger wissen: Wer nur schreibt was die Spielverlage wollen, hat schnell keine Leser mehr. Wer sich zu sehr in den Vordergrund stellt und sich selbst beweiräuchert,

    Frohe Weihnachten und habt eine gute Zeit

  9. Wenn sich Laien oder Amateure über die Professionalität anderer auslassen, dann ist das meist ein schmaler Grat. Insbesondere wenn die eigene Kritik eine gewisse Professionalität vermissen lässt. Es mag erstmal nur eine Meinung des Autors sein. Und eine Meinung ist ihm wie jedem anderen auch zuzugestehen. Aber eine Grenze wird überschritten, wenn diese Meinung auf schlechter Recherche basiert oder gar aus dem Bauch heraus formuliert wird und als journalistisches Werk der Öffentlichkeit angeboten wird. Jedenfalls ist es unprofessionell ins Blaue hinein zu unterstellen, es gehe darum Geld zu machen. Es ist unprofessionell, die Leute in den jeweiligen Sparten (größtenteils) über einen Kamm zu scheren. Und es ist unprofessionell so unglaublich selbstgefällig zu schreiben. Das hat nichts mit dem Stolz auf gewissenhafte Arbeit in der Vergangenheit zu tun. Das ist einfach nur unsympathisch.

    Worin liegt nun der Mehrwert der Youtube-Videos? Ok, für den Autor offenbar nirgendwo. Er muss es sich nicht anschauen, wenn es ihm auf dem Senkel geht. Für alle anderen ist es möglicherweise eine visuelle Darstellung von Material, Regelwerk und Spielablauf wie sie Printmedien einfach nicht leisten können. Der Mehrwert liegt im "eigene Meinung bilden" des Zuschauers. Er liegt darin, dass der Zuschauer einen möglichst guten EIGENEN Eindruck von Spielen bekommt, die er vielleicht nicht persönlich antesten kann und gerade nicht um einen "kritischen Fremdeindruck", der zwar fundiert sein mag, der aber ein Fremdeindruck bleibt. Das sind daher zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe.

    Wenn der Autor die Szene trotzdem als so anstrengend empfindet, ist die beste Möglichkeit dem entgegenzuwirken tatsächlich, selbst mitzumischen und auf Youtube zu starten. Zeitgemäß ist es sicher. Und aufgrund des bereits bestehenden Ansehens von Fairplay und der nach Auffassung des Autors eher schwachen Konkurrenz sollte es doch sicher machbar sein, zumindest in der kritischen Sparte Fuß zu fassen.

    Ich schließe mal mit einem Disney-Zitat (jepp, selbst dort gibts hin und wieder einen Mehrwert) und wünsche Frohe Weihnachten.

    "Die Arbeit des Kritikers ist in vieler Hinsicht eine leichte. Wir riskieren sehr wenig und erfreuen uns dennoch einer Überlegenheit gegenüber jenen, die ihr Werk und sich selbst unserem Urteil überantworten. Am dankbarsten sind negative Kritiken, da Sie amüsant zu schreiben und auch zu lesen sind. Aber wir Kritiker müssen uns der bitteren Wahrheit stellen, dass, im Großen und Ganzen betrachtet, das gewöhnliche Durchschnittsprodukt wohl immer noch bedeutungsvoller ist als unsere Kritik, die es als solches bezeichnet. Doch es gibt auch Zeiten, da ein Kritiker tatsächlich etwas riskiert – wenn es um die Entdeckung und Verteidigung von Neuem geht. Die Welt reagiert oft ungnädig auf neue Talente, neue Kreationen. Das Neue braucht Freunde."

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