Das große Sterben
Während des Perm, der letzten Periode des Erdaltertums, des Paläozoikum, betreten wir die eindrucksvolle Bühne eines Superkontinents, der in den Ären unseres Planeten seinesgleichen sucht. Pangea. Eine nicht enden wollende Landmasse. Das Ergebnis der Vereinigung von Gondwana im Süden und Laurussia im Norden. Umgeben von den Schelfmeeren der Panthalassa und der Thetys. Ein Kontinent mit vielen Gesichtern. Die großen polaren Gebiete im Süden und im Norden finden einen trocken, gemäßigten Übergang zum, vom Monsun geprägten Äquator mit wiederum kontinentalem, trockenen Klima im Landesinneren. Das Leben ist hart für nahezu alle Spezies, auch für uns, denn die Zeiten sind rauer geworden. Das angenehme Leben im milden Klima des Karbon ist bereits jetzt längst Geschichte. Wir befinden uns mitten im Kampf ums Überleben. Im Kampf um die letzten, sicheren Nischen, die ein Fortbestehen ermöglichen. Die immense Artenvielfalt erzählt die glorreiche Geschichte der vergangenen Blütezeit. Der aus dieser Vielfalt nun erwachsene Populationsdruck ist jedoch das bittere Zeugnis der grausamen Realität. Der Überlebenskampf bedeutet nicht nur die Suche nach, vor begehrlichen Blicken meiner Räuber geschützten Nischen, sondern auch nach solchen, die ausreichend Nahrung bereithalten. Der prähistorischen Klimawandel fordert seinen bitteren Tribut. Was allerdings keiner ahnen kann: die Winzigkeit von wenigen Millionen Jahren trennen uns noch von dem alles verändernden katastrophalen Ereignis, vor dem dieses kohlenstoffgemachte Unheil die Ausmaße eines Strohfeuers annimmt. Das Perm wird enden, und mit ihm das Paläozoikum. Für viele von uns tödlich und wenn es ganz schlecht läuft, wird die eine oder andere Art den Planeten unwiederbringlich verlassen.
Die, bis zu dieser Zeit erfolgreiche Klasse der Synapsiden, die anpassungsfähige Gruppe der Wirbellosen, die Sauropsiden und schließlich Amphibien beherrschen die Weite des Kontinents. Ihr Schicksal liegt nun für die Dauer von etwa zwei Stunden in unserer Hand. Unser Überlebenskampf dreht sich nicht etwa um die Kontrolle in Gebieten, sondern vielmehr darum, das eigene Schuppenkleid, den eigenen Brustpanzer oder was auch immer, in Sicherheit zu bringen. Nebenbei sollten wir uns um die Ernährung kümmern und der einen oder anderen unvorhergesehenen Gefahr aus dem Wege gehen.
PANGEA zeigt uns die Karte des Kontinents mit seinen verschiedenen Subkontinenten und Klimazonen. In einem Raster aus Zonen und Sektoren sind Regionen angeordnet. Jede von ihnen beherbergt drei ökologische Nischen. Die am leichtesten zugängliche bietet keinen besonderen Schutz und kann recht problemlos bevölkert werden. Darüber liegen zwei weitere, die jeweils nur einer Tierfamilie ein Zuhause bieten und regelrecht erobert werden müssen. Diese sind es denn auch, um die der Konkurrenzkampf entbrennt. Über einen Zeitraum von genau neun Runden oder knapp 250 Millionen Jahren, von den Epochen Cisuralium des unteren und der Guadalupium des mittleren Perm, bis in die Epoche Lopingium des oberen Perm erstreckt sich die Dauer des gnadenlosen Ringens um die schützenden Winkel Pangeas, bis dann schließlich etwa 252 Millionen Jahre vor unserer Zeit die Urgewalten den Großteil allen Lebens von der Erdoberfläche radiert. Anschließend vergleichen diejenigen, die jetzt noch dazu in der Lage sind irgendwelche Wunden zu lecken, ihre Dominanz und küren den erfolgreichsten Überlebenden.
Jeder von uns wird zum Herdenführer. Sie alle haben dabei komplett unterschiedliche Fähigkeiten und Stärken. Diese Ungleichheit zeigt sich auf den ersten Blick bereits am Spielertableau. Dieses informiert zunächst über die besondere Fähigkeit der jeweiligen Art. Weiterhin zeigt es auch eine Skala mit den verfügbaren Aktionspunkten und viermal je zwei Einsetzfelder für die Aktionskuben. Diesen sind Aktionspunktkosten zugeordnet, die je nach Art komplett unterschiedlich ausfallen. Eine vermag schneller, da billiger Nachkommen zur Welt zu bringen, eine andere wiederum hat weniger Mühe von Nische zu Nische zu migrieren oder sich anzupassen. Wir alle verfügen somit über den identischen Pool an Möglichkeiten, aus dem wir uns aber spezifisch unterschiedlich bedienen können. Wie im wahren Leben. Diese Asymmetrie wird durch die individuellen Evolutionskarten weiter befeuert. Sie können sich rühmen, das Salz in der Ursuppe darzustellen, formen sie doch aus meinen Kreaturen wahre Charakterköpfe. Die sind allerdings alle von identischer Gestalt. Alle bis auf eine, mein Leittier gewissermaßen. Dieses ist irgendwie gleicher, kann noch mehr als alle anderen.
Sind meine Viecher aktiv, wähle ich eine der vier möglichen Aktionen, zahle ihre Kosten und führe sie aus. So kommen neue Tiere auf den Kontinent oder es wandern bereits heimische von Nische zu Nische. Gelange ich in eine besetzte, entbrennt ein Verdrängungskampf der angenehm unkompliziert abgehandelt wird: das stärkere Tier gewinnt und verdrängt das andere in die nächst tiefere Nische. Adaptions- und Evolutionskarten vermögen das Ergebnis zu beeinflussen und sorgen gar beizeiten für das Verspeisen eines Tieres durch das andere. Die Anpassung erlaubt es mir, eben jene Karten zu aktivieren. Aktivierte Adaptionskarten ermöglichen es mir jederzeit einmalig einen Aktionspunkt zurück zu erlangen, ihren spezifischen Vorteil zu nutzen oder mit ihr die Aktivierungskosten einer Evolutionskarten zu entrichten. Letztere bieten oft stärkere, vor allem aber zumeist dauerhafte Vorteile. Mit der vierten Aktionsmöglichkeit kann ich schlicht versuchen, an überlebenswichtige Informationen zu gelangen. Am Ende der Zeit wird ja wie bereits erwähnt ein katastrophales Ereignis eintreten. Die Instinktleiste lässt mich Schritt für Schritt Informationen über das Wann, Wo und Wie dieses Armageddon sammeln. An ihrem Ende bin ich schließlich genau im Bilde, was geschehen wird und kann, so noch ausreichend Zeit bleibt, gezielt meine Herde in sichere Regionen geleiten. Vier mögliche Ereignisse lauern und mit ihnen recht unterschiedliche Anforderungen, welche Nischen in welchen Regionen Schutz bieten.
Ausgerechnet das starke Thema ist der Stein, über den PANGEA stolpert.
PANGEA möchte immer alle Tiere am Tisch vereinen. Daher liefert es bei weniger als vier teilnehmenden Menschen Nicht-Spieler-Tableaus, die über eine würfelgesteuerte Aktionsmatrix verfügen. Die Abhandlung der Züge halten nicht sonderlich auf und gehen zügig von der Hand.
Auf der Habenseite kann PANGEA das tolle Thema und eine schöne und außerordentlich stimmungsvolle Aufmachung verbuchen. Die Suche auf der Instinktleiste ist, wenn auch nicht thematisch, originell umgesetzt und stellt ein reizvolles Minispiel im Spiel dar. Der geschickte Gebrauch der Karten, das Kombinieren verschiedener Verbesserungen befördert das Spiel zwar auch etwas auf thematische Abwege, stellt aber ein interessantes und spielentscheidendes Element dar. Dem zum Trotze konnte das Spiel leider die geweckten Erwartungen nicht erfüllen.
Ausgerechnet das starke Thema ist der Stein, über den PANGEA stolpert. Und das ist nur logisch: Im echten Leben kann das Vergnügen beginnen, wenn der tägliche Kampf ums Überleben überwunden ist. Andersherum: Überlebenswichtigen Zwängen ist nicht im Geringsten Vergnügliches zu eigen. Und PANGEA serviert uns im Kern zwei dieser Zwänge und bezieht dann nur daraus sein Spiel. Mit seinen Tieren Regionen mit ausreichend Nahrung zu besetzen und in sichere Nischen zu schlüpfen, das ist der Überlebenskampf den wir Spieler mit PANGEA ertragen müssen. Nischenhopping, überlebenswichtig und sterbenslangweilig. An dieser Stelle müsste in irgendeiner Weise der Anfang für das eigentliche Spiel bereitet sein. Das Pflügen des Ackers und das Sähen der Saat. Der Beginn von Viehzucht. Ein technischer, zivilisatorischer Aufbruch, ein kultureller Umbruch. Eine Weiterentwicklung. Irgendetwas dergleichen. Um aus der prähistorischen Not noch ein Spiel zu gestalten, dürfen wir um kleine Ziele wetteifern: Wer besetzt als erster alle drei Nischen einer Region oder wer hat als erster Tiere in allen Klimazonen, wer als zweiter und so weiter. Es fehlt das echte Spiel, kein Entdecken, keine wirkliche Entwicklung. Rundenwährendes Einerlei, das sich mit Denkern durchaus in die Länge ziehen kann. Zu allem Überfluss sind die unterschiedlichen Fähigkeiten und Stärken der vier Tierarten unausgewogen. Bin ich nicht wirklich mit PANGEA vertraut, so habe ich mit den Wirbellosen wahrhaft schweres Spiel und mit den Synapsiden ein ebenso leichtes. Einfältige Nicht-Spieler-Tiere runden den bescheidenen Eindruck mit ihrer unintelligenten Spielweise noch ab. Solitär ist dem Spiel eine Sieggarantie eingebaut, es sei denn man spielt noch bescheidener als die tierische Intelligenz.
Im Jahre 252 Millionen vor unserer Zeit kommt es unweigerlich zum Massensterben in Pangea. Und mit ihm stirbt leider auch der Spaß an diesem so hübschen und stimmungsvollen Langweiler.
Matthias Palmer
Aleksander Jagodziński: PANGEA für 1 bis 4 Personen mit Illustration von Aleksander Jagodziński und Joanna Kwaśniak bei REDIMP GAMES 2019, Spieldauer ca. 90 Minuten, Sprache: Englisch