Die ehrwürdige Zunft der Schneiderinnen dürfte ihre Freude an diesem Spiel haben. Geht es doch mit der Schere ans Werk. Aus Spielkarten werden Schnittmuster geschnipselt. Freilich nicht, um irgendwelchen Gewändern als Vorlage zu dienen, vielmehr entstehen aus den Schnipseln Landschaften, sogar ganze Reiche. Diese unterliegen genauen Gesetzmäßigkeiten, und wer seine Geländestreifen optimal zusammenfügt, erbeutet die meisten Punkte.
Der Ansatz ist sehr ungewöhnlich. Die aktive Spielerin zerschneidet eine Spielkarte. Auf dieser sind in einem 3×4-Raster Geländeformationen, unterschiedliche Phantasiewesen und Bonus-Hilfsmittel abgebildet. Beim Zuschnitt darf die Rastervorgabe nicht zerstört werden. Die Aktive muss die Karte an den vorgegebenen Linien des Rasters zerstückeln und hat dann beispielsweise in einer Dreier-Partie drei Teilstücke erstellt. Die können recht unterschiedlich in Form und Inhalt sein. Das liegt auch daran, weil jede Karte einen anderen Aufriss hat. Die drei Geländeformen Grasland, Ödland und Wasser sind immer vorhanden. Von den 12 quadratischen Sektionen beinhalten immer sieben irgendwelche Wesen oder Hilfsmittel.
Das Zerschnipseln obliegt der aktiven Schneiderin. Bei diesem Vorgang wird sie sich möglichst um Ausgewogenheit bemühen, denn die Teilstücke werden der Reihe nach von den anderen gewählt und in die eigene Auslage gelegt. Dabei ist die aktive Spielerin stets zuletzt am Zug. Sie muss also nehmen, was übrigbleibt. Schon von daher wird sie selten unattraktive Landschaftsformen bilden.
So ein Spielzugriff ist innovativ. Bisher kennen wir das eigentlich unvorstellbare Zerstören von Spielmaterial nur aus EXIT- oder Legacy-Spielen. Jetzt wird dieser Tabubruch auch für ein Konkurrenzspiel genutzt. Weil pro Partie im Schnitt zwölf der 120 enthaltenen Karten benötigt werden, reicht das für etliche Partien. Vom Spielgefühl her erinnert das Vorgehen an Ideen, in denen Spielkarten zu zwei, drei Gruppen aufgeteilt werden und der Reihe nach gewählt wird. Kürzlich wurde diese eigentlich recht interessante Grundidee noch im Zweierspiel HANAMIKOJI von Kosmos umgesetzt.
Worauf ist nun zu achten? Die verschiedenen Landschaften und Wesen folgen sehr unterschiedlichen Bedingungen. Es kommt weniger darauf an, Mehrheiten zu bilden, als dass Interdependenzen zu berücksichtigen sind. Da gibt es Frösche, die per se am Ende zwei Siegpunkte kosten. Diese dürfen aber einem Kraken zum Fraß vorgeworfen werden, der auf einem der Nachbarfelder, unabhängig von der Geländeart, hocken muss. Anders bei den Drachen, die holen sich sehr wohl abhängig von der Geländeform ein Opfertier aus diesem Gebiet. Sie stromern also unter Umständen weit durchs eigene Königreich. Hat eine Spielerin genau zwei Drachen im gleichen Gebiet, gibt das satte Pluspunkte. Interessant sind Kröten. Konnte jemand genau eine im gesamten Königreich platzieren, verspricht das satten Gewinn, bei schon zwei halbiert sich die Ausbeute und bei drei Kröten ist Schluss mit Extrapunkten. Das alles und viel mehr muss die Spielerin beim Aufbau der eigenen Auslage in Einklang bringen. Zur Optimierung helfen gewonnene Bonuselemente wie z.B. der Turm. Mit ihm können punkteträchtige Wesen vor Fressfeinden geschützt werden. Es wäre doch fatal, wenn der Kraken sich die einzige Kröte einverleibt. Ein Turm schützt da.
Das Gesamtspiel läuft so, dass in mehreren Schneide- und anschließenden Bauphasen jede Spielerin ihr Reich gestaltet. Ist das abgeschlossen, dürfen die Bonuselemente die eigene Auslage optimieren. Schließlich kommen die Fressmonster zum Einsatz und minimieren die Bevölkerung. Was danach übrig bleibt, wird bepunktet.
Ehrlicherweise überfordert das Spiel mehr als zunächst vermutet. Das Zerschneiden der Spielkarten suggeriert Einfluss. Der ist zwar gegeben, aber nur sehr bedingt von Relevanz. Das liegt daran, da die Möglichkeiten recht mannigfaltig sind, und die aktive Cutterin eigentlich die Auslagen der Mitspielerinnen stets im Auge behalten sollte. Das macht die Aufgabe allerdings so komplex, dass Spielspaß zu Ungunsten von zu tiefgreifender Analyse verloren geht. Aus dem Bauch herauszuspielen, das heißt vor allem, zu zerschneiden und dann zu schauen, was passiert, ist der spielerische Effekt. Ich will nicht verkennen, dass es gerade zum Ende doch ein paar offensichtlichere Möglichkeiten gibt. Wenn die Mitspielerinnen partout keine Kröte mehr gebrauchen können, die Aktive aber durchaus noch Interesse daran hat, kann sie die eine vorhandene Kröte großzügig mit anderen Vorteilen kombinieren. Dass dann dieses Geländeteil bis zum Schluss liegen bleibt, ist denkbar. Hier kommt die Spielidee zum Tragen, aus meiner Sicht aber insgesamt zu selten.
Gar nicht gefällt mir die Pixel-Grafik. Solche Illustrationen scheinen zur Zeit en vogue zu sein. Für mich ist das grobe Gepixel einfach unschön, zumal auch noch Kraken und Kröten von Anmutung und Farbgebung Verwechslungen unterliegen. Hilfreich sind die Übersichtstabellen, ohne die es hier gar nicht geht. Eine Regellücke trat sogleich in früher Partie auf. Wenn ein Drache durch einen Turm geschützt ist, ist nicht deutlich, ob dieser trotzdem noch auf Beutefang geht. Das ist häufig nicht groß relevant, kann aber vereinzelt über entscheidende Punkte bestimmen.
Und nach dem Spiel? Die Schnipsel können entsorgt oder für später aufbewahrt werden. Wenn alle Spielkarten zerschnitten wurden, lassen sich Einzelteile aus einem Beutel ziehen und zufällige Auslagen für neue Partien schaffen. Das kann dann aber zu ungerechten Vorgaben führen, wie die Regel selber einräumt. Für ausdauernde Cutterländerinnen gibt es natürlich Nachschub-Packungen, sogar noch mit Sumpfmorcheln als Erweiterung. Kurz: Bei aller erster Euphorie über die ungewöhnliche Schneide-Aktion hat das Spiel letztendlich keinen Nachhall hinterlassen. CUTTERLAND ist ein spielmechanischer Blender.
Peter Neugebauer
Nikolay Zolotarev: CUTTERLAND für 2 – 4 Personen mit Illustration von Uildrim bei funbot und Hobby World 2020, Spieldauer 40 Minuten