Gib mir mein Spice
Zu Pappe gewordenes Zelluloid. Wieder einmal. Dieses Mal geht die Reise an einen besonderen Ort, den Wüstenplaneten Arrakis.
Demnächst wird eine neue Verfilmung von „Dune“ das Licht der Filmprojektoren erblicken. Siebenunddreißig Jahre nach David Lynchs Versuch Frank Herberts legendäre Zyklen würdig auf die Leinwand zu bannen. Die bisher spektakulärste Verfilmung des Stoffes hat ein Regisseur namens Jodorowsky nicht zu verantworten. Denn der einzige kleine Makel an seinem Meisterwerk, einem der besten Filme (wenn nicht dem besten Film) aller Zeiten: Er wurde nie gedreht. Uns hätten zahllose Superlative erwartet, inklusive einem mit fürstlichem Salär von 100.000 Dollar pro Minute entlohnten Salvador Dali. Niemand geringerer als H. R. Giger lieferte drei Jahre vor „Alien“ etliche Gestaltungsstudien, und zahlreiche weitere Größen wie Mick Jagger und Pink Floyd zierten die Besetzungsliste dieses Mammutprojekts. Der Film wurde letzten Endes nicht gedreht, weil seine Macher einfach zu ambitioniert waren. Er war überbordend vollgepackt mit Ideen und Plänen und sorgte bei allen potenziellen Hollywood-Studios für Angst und Schrecken. Weniger ist eben oft mehr. Und das sollte uns Spielern überaus bekannt vorkommen. Stellt sich also die Frage: Hat auch Paul Dennen mit seiner Vision von DUNE zu viel gewollt und scheitert nun krachend? Die kurze Antwort lautet: Nein, ganz im Gegenteil!
Der Autor lädt uns ein zu einer Reise nach Arrakis, auch bekannt als Dune. Dort beschäftigen wir uns in den kommenden ein bis zwei Stunden hauptsächlich damit, uns in kriegerischen Auseinandersetzungen zu behaupten und diplomatischen Einfluss auf die verschiedenen Fraktionen zu nehmen, die um die Vorherrschaft auf dem Wüstenplaneten ringen. Wenn es sein muss mit dem Mittel der Intrige. Den zugrundeliegenden Spielelementen lässt sich nicht bescheinigen, sonderlich innovativ zu sein: Ein wenig Deckbau im Zusammenspiel mit dem Einsatz von Arbeitern, gepaart mit einem recht schlichten Abgleichen von Kampfwerten in der Konfliktphase. Die Mischung und der ungewöhnliche Einsatz der Karten sorgen für das gewisse Etwas, die gewisse Andersartigkeit des Spiels.
Bin ich am Zug, führe ich entweder einen Agentenzug oder einen Aufdeckzug durch. Wähle ich erstere Möglichkeit, so setze ich, mithilfe einer zugleich gespielten Karte, einen meiner zwei oder drei Arbeiter auf einem unbesetzten Feld des Spielplans ein und entrichte die eventuell erhobenen Kosten, beispielsweise Wasser oder Solari. Der Besuch mancher Felder ist auch an Bedingungen geknüpft. So weit so gewöhnlich. Etwas eigenwilliger ist da schon, dass ich keineswegs die freie Wahl habe, mit welcher Karte ich meinen Agenten zum gewünschten Ort entsende. Nahezu jede dieser Karten trägt ein oder mehrere Symbole, die mit Fraktionen oder Orten auf dem Spielplan korrespondieren. Mein Agent darf ausschließlich entsprechende Felder besuchen. Habe ich keine Karte für meinen Wunschort auf der Hand, bleibt mir der Zutritt verwehrt. Schicke ich ihn allerdings regelkonform zu einem Feld, so darf ich mich zumeist über zweierlei Entlohnungen freuen. Denn nicht nur das Feld wirft Ertrag ab, sondern oft auch die gespielte Karte. Hinsichtlich dieser Entlohnungen wird es nun aber wieder vertrauter. Ich versuche an die drei „Währungen“ Wasser, Spice oder Solari zu kommen, die es mir dann wiederum ermöglichen kostspielige, aber auch lohnendere Felder aufzusuchen. Oder Felder, die mir den Einsatz von Truppen in meine Garnison erlauben, meine Kartenhand auffüllen oder mir Zugang zu Intrigenkarten verschaffen.
Sobald ich beschließe keine weiteren Agenten mehr einzusetzen, spätestens wenn ich keinen mehr habe, wartet mit dem Aufdeckzug die eigentliche Besonderheit darauf, mein Spielerherz zu erfreuen. Nun spiele ich nämlich alle verbliebenen Karten aus und beachte nur noch den unteren Teil der Karte. Hier erfahre ich, welchen Vorteil mir die Karte bietet. In aller Regel erhalte ich weitere Kampfstärke zur Unterstützung meiner Truppen im anschließenden Kampf hinzu oder meine Überzeugungskraft wird gestärkt. Letztere setze ich ein, um weitere Karten zu erhalten – hier also hat sich der Deckbau versteckt, der während der Einsetzphase nicht zu finden war. Ich addiere die Überzeugungswerte meiner Aufdeckkarten und darf anschließend in einer offenen Kartenauslage shoppen gehen. Die Runde endet mit einem Kampf, bei dem einfach nur die Stärke der vertretenen Kontrahenten verglichen wird. Diese resultiert aus der Anzahl der in den Kampf geschickten Truppen, plus der Kampfstärke der Aufdeckkarten und eventuell gespielter Intrigenkarten. Hier geht es allein um das Ermitteln des Siegers. Dem winken nämlich schicke, sich im Spielverlauf steigernde Belohnungen: Ressourcen, Einfluss bei den Gilden oder Siegpunkte. Je nach Spieleranzahl wird nicht nur der Sieger entlohnt, es gibt auch ein bisschen was für den Zweiten oder Dritten.
Sobald jemand zehn Punkte erreicht hat, wird das Spielende eingeläutet. Intrigenkarten, die manch einer noch auf seiner Hand versteckt hält, bringen eventuell weitere Punkte. Dann endet das Gerangel um Einfluss und Macht auf dem Wüstenplaneten.
DUNE: IMPERIUM schickt sich keineswegs an, besonderen Applaus als Meister der Innovation zu ernten. Jedenfalls nicht nach dem ersten Kennenlernen. Im Kern kennen wir das alles schon. Die Reise nach Arrakis fällt auch Novizen entsprechend leicht. Hier liegt aber auch schon eine der Stärken des Spiels. Bei einer vielfältigen Auswahl an Möglichkeiten präsentiert sich der Worker- Placement-Anteil dennoch mit schlichter Eleganz und ist erfreulich übersichtlich. Ebenfalls zu gefallen weiß der eigenwillige Einsatz der Karten. Auch wenn dieser recht neuartig erscheint, ist jeder schnell mit dem cleveren Management der eigenen Kartenhand vertraut. Dieses verlangt Runde für Runde nach guten Entscheidungen, wie und wann die Karten ihren Einsatz finden. Schnell begreife ich, wie wertvoll die wenigen Möglichkeiten des Auffüllens der Kartenhand während des laufenden Durchgangs ist. Denn sie steigern nicht nur meine Flexibilität in der Agentenphase, sondern stellen obendrein meine „Währung“ während des Aufdeckens dar. Das permanente Abwägen (nutze ich einen lukrativen Aufdecken-Effekt, benötige ich das wichtige Symbol für meinen Agenten oder verschafft die Karte mir im Agentenzug stärkere Vorteile) gleicht oft einem Dilemma, insbesondere bei den höherwertigen Karten. DUNE: IMPERIUM tritt uns also durchaus aufgeräumt und elegant entgegen.
Umso überraschender ist die Vielfalt an strategischen Herangehensweisen, die sich im Laufe der Zeit offenbart. Wir haben Spiele erlebt, die für den einen oder anderen oder gar alle von Rohstoffknappheit geprägt waren. Ebenso solche, die nach ein paar Runden einen Reichtum an Ressourcen bescherten. Es ist keineswegs zwingend, stets alle eigenen Agenten einzusetzen und durchaus möglich, auch ohne seinen dritten Agenten (den muss man teuer über ein Einsetzfeld erwerben) oder den jede Runde verfügbaren Mentaten (quasi ein Leiharbeiter) erfolgreich zu spielen. Wir haben Sieger gekürt, die eine friedliche Strategie verfolgten und nur an relativ wenig Kämpfen beteiligt waren, und solche, die kaum auf Diplomatie gesetzt haben oder mangels Symbole nicht konnten. Allerdings dürfte es schwerfallen um den Sieg mitzuspielen, wenn man auf das eine oder andere gänzlich verzichtet. Entscheidend für ein erfolgreiches Bestehen auf dem Wüstenplaneten dürfte das geschickte Taktieren mit den Möglichkeiten sein. Denn der Deckbau birgt ein nicht unerhebliches Maß an Zufällen. Es liegen stets fünf Karten offen aus, drei Stapel bieten uns einen knappen Vorrat an Standardkarten. Die ausliegenden Karten erfahren nur dann eine Auffrischung, wenn Karten gekauft werden. Verdeckte Karten können naturgemäß nicht erworben werden. So ergibt sich streckenweise die Notwendigkeit, sein Spiel an die Möglichkeiten anzupassen. Als recht schwierig kann sich beizeiten das Ausdünnen des eigenen Decks erweisen. Der Vorrat an Karten, die das Erlauben, kann durchaus sehr begrenzt sein. Der Wert der Intrigenkarten sollte nicht unterschätzt werden. Allerdings ziehen wir diese von einem verdeckten Stapel. Da finde ich welche, die mir Überzeugung liefern, andere bringen zusätzliche Stärke, wieder andere Siegpunkte für dieses oder jenes und so weiter. Je vertrauter wir mit dem Spiel werden, desto besser gelingt es, die eigene Spielweise an diese schwer zu kalkulierenden Faktoren anzupassen. Die wohlig gelungene Interaktivität beschert uns ein Gezerre um den Einfluss bei den Fraktionen und den nahezu unausweichlichen, von Intrigen und taktischer Finesse geprägten Konflikten. Die K.I., die im Ein- und Zweipersonen Spiel das Schlachtfeld betritt, handelt gewissenhaft und vermag zu ärgern und kann einzig deshalb nerven, wenn man immer wieder vergisst, ihre Züge zu vollziehen.
Für mein Empfinden steckt neben der schönen Eleganz ein echtes Biest in der Schachtel, das sich wesentlich weniger schnell erobern lässt, als es zunächst scheint. Auch wenn ich mit dem Dune Zyklus bisher kaum in Berührung kam, zieht mich das Spiel bis über beide Ohren ins Thema rein. Für mich eines der allerbesten Spiele des Jahrgangs!
Matthias Busse
Paul Dennen: DUNE: IMPERIUM für 1 – 4 Personen mit Illustration von Clay Brooks, Raul Ramos, Nate Storm bei Dire Wolf 2021, Spieldauer 60 – 120 Minuten