STEAM verdankt seine Entstehung einem Rechtsstreit. Autor Martin Wallace und Redakteur John Bohrer zankten sich um den Vorgänger AGE OF STEAM. Die Rechte blieben am Ende bei Bohrer, Wallace entwickelte eine abgespeckte Version. Das wird jedes Mal erwähnt, wenn von STEAM die Rede ist. Aber damit soll’s auch gut sein. Niemand sieht sein Lieblingsspiel gerne auf eine juristische Auseinandersetzung reduziert. STEAM ist mein Lieblingsspiel. 13 Jahre sind seit seinem Erscheinen vergangen. Ich habe es selten exzessiv, aber erstaunlich konstant gespielt. In keinem Jahr waren es weniger als vier Partien. Von vielen weiß ich noch, wie sie verliefen.
Für den Bauch
In der Basisversion ist STEAM ein Eisenbahnspiel mit drei Kernphasen. Jede Runde wählen wir in Spielerreihenfolge eine Rolle, die uns einen Bonus verschafft. Zugleich ergibt sich daraus die Reihenfolge der nächsten Runde. Anschließend bauen wir Strecken und bringen Güter an ihren Bestimmungsort. Der Verdienst ist umso höher, je größer der Umweg – wahrscheinlich ergeben sich da irgendwelche Nebengeschäfte.
Alle Informationen liegen auf dem Tisch, was Anfänger bisweilen zum Grübeln verleitet. Klar, Planung ist nötig, aber nur zu einem bestimmten Grad möglich. STEAM erfordert Intuition und Kompromissfähigkeit. Es ist was für Bauchspieler.
Ein Beispiel: Wenn ich in einer umkämpften Dreierpartie per Nachschub-Aktion zwei Waren ins Spiel bringe, kann ich mir wahrscheinlich nur eine der beiden Lieferungen sichern. Die zweite wird sich die Konkurrenz schnappen. Das ist nicht schlimm! Denn erstens erhalte ich vielleicht einen Anteil, eine kleine Streckenmiete, falls ich es geschickt angestellt habe. Und zweitens besteht die hohe Kunst darin, Nachschub so zu platzieren, dass immer jemand anderes mitprofitiert.
Endlos erweiterbar
Ich spiele gern aus dem Bauch heraus. Mag ich STEAM nur deshalb? Ich glaube nicht. Ebenso wichtig sind die vielen verfügbaren Karten. Sie bringen Abwechslung mit geringem Regelaufwand, fast wie Rollenspiel-Module. Der STEAM-Verlag Mayfair hat im Lauf der Jahre, bis zu seinem traurigen Ende 2018, ein Dutzend Karten von Morgan Dontanville veröffentlicht. Eins meiner Highlights ist der Bau der Brüsseler Metro für genau drei Personen, wo neue Stationen erst ins Spiel kommen, wenn sich zwei Netze kreuzen. Hier sind wir zur Kooperation verdammt, wenn wir Passagiere anlocken wollen. Unvergesslich auch der Kampf um den Warentransportmarkt in Polen, wo unterschiedliche Spurbreiten in der zweiten Spielhälfte eine Aufrüstung des Netzes erfordern, will man nicht auf Teile der Rendite aus lukrativen Auslandsaufträgen verzichten.
Jeder Berg ‘ne Herausforderung
Daneben gibt es wunderbare Fan- und Kleinverlags-Karten, zum Beispiel auf Boardgamegeek drei kostenlose für zwei Personen von dem deutschen Autor Thomas Wegner. Sie stellen Sardinien, Sizilien und Andalusien vor, wohl nicht zufällig lauter sonnige Urlaubsregionen.
Eine große Mehrspielerkarte „Die Alpen“ hat ein Freund einst für AGE OF STEAM entworfen, aber aus dem Netz genommen, weil John Bohrer mit seinem Anwalt drohte. Wir spielen sie inzwischen in STEAM. Ewig könnte ich über die Strategie diskutieren. Ist der zentrale Brennerpass der Schlüssel zum Sieg? Lohnt sich eine Strecke in die französischen Seealpen oder nach Wien? Die Alpen sind zugleich meine liebste Urlaubsregion. Ja, vielleicht ist STEAM deshalb mein Lieblingsspiel. Es ist wie Urlaub. Planen aus Vorfreude. Jeder Berg eine Herausforderung, jeder Städtename eine Verheißung. Spontan bleiben, Chaos akzeptieren. Und stundenlang auf die Landkarte starren.
Florian Kalenda
Martin Wallace: STEAM: AUF SCHIENEN ZUM RUHM für 3 – 5 Personen mit Illustration von John Austin, Jared Blando, Craig Hamilton, Christopher Moeller bei Phalanx Games B.V. 2009, 90 Minuten
jd: Es gibt viele gute Eisenbahnspiele, aber Steam gehört zur Spitzenklasse und kommt bei uns immer wieder auf den Tisch.
mel: Viele schöne Erinnerungen an etliche Partien. Mit den richtigen Landkarten auch gerne zu zweit.