Die Nürnberger Spielwarenmesse hat in den Jahren 2021 und 2022 pandemiebedingt pausiert. Jetzt, nach drei Jahren, öffneten wieder die Messehallen. Statt 2800 Aussteller waren nur 2100 gemeldet. Das ist ein Viertel weniger. Sichtbar war auch die Verkleinerung mancher Stände, die deutlich zusammengeschrumpft sind. Das sind erst einmal keine guten Vorzeichen, trotzdem wird viel von einem erfolgreichen Re-Start gesprochen. Das kann ich bestätigen. Das Treiben in den Messehallen war geschäftig, eine große Internationalität gegeben und das Ordergeschäft, so weit zu hören war, äußerst zufriedenstellend.
Darüber hinaus hat natürlich eine Präsenzmesse den Vorteil des Smalltalkens und Networkens. Der persönliche Austausch mit Branchenpersönlichkeiten, die man mitunter nur eins- bis zweimal im Jahr sieht und das Entdecken und die Kontaktaufnahme zu neuen Anbietern und Partnern macht eine Präsenzmesse so wertvoll. So hat auch die Messeleitung mit der erstmalig durchgeführten Red Night dazu beigetragen. Am Messedonnerstag konnte an vielen Ständen nach Toresschluss noch geschnackt und gesnackt werden, wenn nicht das Büfett schon nach kurzer Zeit leergefuttert war. Das wird dem Anbieter kein zweites Mal passieren.
Spiele, mehr alt als neu
Natürlich wurden keine alten Spiele präsentiert. Vereinzelt werden in Essen oder später angekündigte Titel noch einmal als Neuheiten verkauft. Das liegt daran, dass es noch immer keine zuverlässigen Lieferketten gibt und Erscheinungstermine verschoben werden müssen. Dazu zwei Beispiele: Das im Herbst groß angekündigte FLAMECRAFT von Lucky Duck Games (Vertrieb Asmodee) erscheint erst jetzt. Oder auch EVERGREEN von Horrible Guilde (Vertrieb HeidelBär), vereinzelt schon rezensiert, entpuppt sich nun erst für den Markt verfügbar. Einzelne Vorabmuster wurden verteilt und in der Berichterstattung berücksichtigt, ohne dass dadurch geschaffene Nachfrage befriedigt werden konnte. Das sind keine wünschenswerten Entwicklungen.
Das zweite zu beobachtende Phänomen ist, dass Verlage im Frühjahr ihren Fokus mehr und eher auf bekannte Spiele-Reihen aus dem eigenen Portfolio richten und erst zur zweiten Jahreshälfte hin mit echten Neuheiten aufwarten. Die Essener SPIEL ist mittlerweile zum Drehkreuz einer Neuheitenschau geworden und hat dem Nürnberger Frühjahrstermin den Rang abgelaufen.
So haben die Kartenspielanbieter Amigo und NSV nur zwei Spiele bzw. eines neu im Programm, wobei mit HALLI GALLI, PRIVACY und THE MIND lediglich alte Bekannte im modernen Gewand verspielt werden. Auch bei anderen Herstellern wie Ravensburger, Kosmos oder Hasbro werden angekündigte Spiele in eigene, etablierte Linien eingebettet und überwiegen die Zahl der echten Neuheiten.
Spektakuläre Neuheit und weitere Spiele
Einen richtig großen Auftritt wird das blaue Dreieck im August haben. Die Ravensburger versuchen 30 Jahre nach MAGIC ein eigenes Trading-Card-System zu etablieren. Zu 100 Jahre Disney kommt LORCANA auf den Markt. Sie besitzen die Rechte an sämtlichen Disney-Charaktern, und das sind ja längst nicht mehr nur Mickey und Donald. Dazu gehören mittlerweile ebenfalls die Marvel- und Star Wars-Universen. Und da das Produkt gleichzeitig einen weltweiten Auftritt feiert, mache ich mir wenig Sorgen. Wenn das Spielsystem funktioniert, wovon ich ausgehe, werden sich die Bildkarten in allen Disney-Parks und darüber hinaus wie geschnitten Brot verkaufen. Amigo muss sich Gedanken machen, wie Pokémon- und Yu-Gi-Oh daneben Bestand haben können…
Huch! hat sich als erfolgreicher Vertriebspartner angedient. Gleich drei der im FAIRPLAY-Ranking der Essener Scout-Aktion hochgelobten Spiele werden im Laufe der ersten Jahreshälfte ins Deutsche lokalisiert erscheinen. Dazu gehört das schnelle kooperative Luftdrachen-Fliegen KITES. Dann noch der Lochkarten-Computer TURING MACHINE. Und schließlich das ungewöhnliche TRIBES OF THE WIND, bei dem die Karten der Mitspieler zum eigenen Sieg beitragen. Die Nr. 1 unseres Rankings CAT IN THE BOX ist allerdings bei Pegasus gelandet und steht im Sommer zur Verfügung. Dann werden, was zu erwarten war, alle Erfolgstitel der Scoutaktion eingedeutscht zur Verfügung stehen.
Geigenbauer als Spieleautor
Eine andere Geschichte erzählt der Geigenbauer Sebastian Oberlin, der mit seinem Partner und Medienkünstler Adrian Rennertz im eigenen Start-up KLANG2 (sprich: Klangquadrat) vermarktet. Nur zwanzig quadratische Plättchen sind die Hardware. Die Software aber verspricht unendlichen Spielreiz. In jedem Kärtchen ist ein NFC-Tag platziert, auf den der NFC Reader eines Smartphones reagiert. Eine kostenlose App kommuniziert über Funk mit den Mikrochips und lässt die Spielteile erklingen.
Eine Sammlung von 15 Spielen wird geboten, wobei jedes Spiel mannigfach variiert wird, weil bei jedem neuen Zugriff die akustischen Komponenten neu gemischt werden. Beispielsweise geht es um Tierstimmen oder Hauptstädte und Länder, die in einem Memospiel gefunden werden müssen. Bei richtiger Zuordnung erklingt die Nationalhymne. Die Buchbinder-Edition ist das Basisspiel. In der Classic-Version gibt es als Hardware Spielplättchen in Edelholz.
Ungewöhnlich ist das Konzept der Schweizer Game Division. Mit gleich drei Kartenspielen am Start, werden diese in einer Travel, einer Pocket- und einer Original-Box geboten. Die Spiele sind identisch, die Schachtelverpackungen changieren in der Wertigkeit und im Preis. Ob das Konzept aufgeht? Die neueste Idee heißt VIVA und will so bunt wie das Leben sein.
Da in Nürnberg so gut wie nicht gespielt wird, kann ein erster Eindruck von Neuheiten nur auf optische Eindrücke und erste Erklärungen beruhen. Neugierig werde ich auf DISTRICT NOIR von der Game Factory warten.
In diesem Zweier-Kartenspiel rangeln die Spieler in einem subtilen Nimm-Mechanismus um Mehrheiten. Eine Alternativstrategie kann für überraschende Wendungen sorgen. Bei der Game Factory muss auch WANDERLUST erwähnt werden. Hier geht es um Deckbau. Es stehen den Spielern sieben verschiedene Kartenpacks zur Verfügung, von denen aber immer nur drei pro Partie benutzt werden. So können die Spieler den Ablauf im Vorhinein bestimmen, ob er eher defensiv, moderat oder aggressiv verlaufen wird. Bei TIPPERARY von Lookout Games (Vertrieb Asmodee) wird in einem Legespiel Irland mit malerischen Hügeln und grünen Landschaften aufgebaut. Ein weiteres Legespiel aus Essen im Portfolio von Asmodée ist HAMLET von Mighty Boards. Hier muss einer kleinen Ansiedlung eine Kirche hinzugefügt werden, damit es zum Dorf aufsteigt. Alle helfen gemeinsam aber schlussendlich will doch einer der größten Anteil beim Kirchenbau geleistet haben.
Dunkle Zeiten
ORICHALKUM bei Pegasus verspielt wieder einmal ein apokalyptisches Thema um eine neue Heimat. Auch hier geht es um Plättchenbau und vor allem um den namensgebenden Rohstoff Orichalkum, der sehr nützlich sein wird. Ins gleiche Horn tutet NEW EDEN von Schmidt. Das Endzeitszenario zeigt die Welt im versunkenen Meer. Die Spieler versuchen eine Unterwasserwelt zu errichten. Gemeinsam werden Ressourcen genutzt. Trotzdem ist es ein Wettlauf, wer das für sich am besten meistert. BELAAD: LANDE VON SCHWERT UND FEDER von Corax war schon im Herbst angekündigt und steht jetzt zur Verfügung. Es ist ein asymmetrisches Kriegsspiel voller Intrigen und Hinterhalt in einer orientalischen Welt. Die strategische Entscheidung ist stets, nach Macht zu streben oder Rache zu üben.
THE YAWNING PORTAL von Hasbro Gaming ist in einer Fantsywelt angesiedelt. Nach dem Streifzug durch einen gefährlichen Dungeon treffen sich die heldenhaften Recken in einer Kneipe am Ende der Welt. Hungrig und durstig wie sie sind, bedienen die Spieler sie als Mundschenk und wollen schnell und richtig Speis und Trank kredenzen.
Fantastisches Abenteuer wird in JURASSIC PARK – DANGER! Von Ravensburger geboten. Gemäß der Filmvorlage dirigiert ein Spieler den aggressiven T-Rex und weitere Dinos. Sie jagen die Menschen, die sich verbünden und gemeinsam den rettenden Hubschrauber erreichen müssen. Hier wird das aus SCOTLAND YARD bekannte Prinzip „Einer gegen alle“ erneut verspielt.
Und dann war da ein einziges kleines Kartenspiel, das unter Kollegen empfohlen wurde, so nach dem Motto: Hast du dir es schon angeschaut? Die Ravensburger überraschen mit dem schlichten THAT´S NOT A HAT. Eigentlich wird Memory gespielt, allerdings mit Memo-Karten, die ständig den Besitzer wechseln. Je länger das Geschiebe dauert und je mehr neue Kartenmotive hinzukommen, um so wahrscheinlicher ist es, dass einer in die Falle tappt und nicht mehr weiß, was wo liegt. Dieses schnelle Spiel hat bei Erwachsenen seinen eigenen Party-Charakter und sorgt garantiert für Emotionen. Kinder würden hierbei wohl nur müde lächeln, aber diese sind bewusst nicht die angesprochene Zielgruppe.
Das war jetzt nur ein kleiner, sehr subjektiver Einblick auf vorgestellte Nürnberg-Neuheiten. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben und ist keinesfalls gegeben. FAIRPLAY wird bei ihrer weiteren Berichterstattung natürlich alle relevanten Spiele im Blick haben.
Peter Neugebauer
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