Die 80er, die es nie gab
Als man mir im letzten Jahr eine Rollenspielrunde anbot, bei der ich ein Kind der 80er Jahre spielen sollte, habe ich kurz überlegt und dann dankend abgelehnt. Keine „Kinderrunde“ bitte. Dabei blieb es auch – bis ich in diesem Jahr bei der Spielemesse in Essen über das Brettspiel TALES FROM THE LOOP stolperte. Die im Spiel enthaltenen, und im Ausstellungsexemplar natürlich schick angemalten, Roboter-Miniaturen ließen mich innehalten und den Stand vom schwedischen Verlag Free League nicht nur mit dem Spiel, sondern auch dem Regelwerk zum gleichnamigen Rollenspiel verlassen. Dass der Ursprung des Rollenspiels in Kunstdrucken des Künstlers Simon Stålenhag und einem daraus resultierenden erzählerischen Kunstbuch gleichen Namens liegt, und es außerdem eine darauf aufbauende TV-Serie dazu gibt, entdeckte ich erst, als ich mich dann näher mit dem Regelwerk und der Welt von TALES FROM THE LOOP beschäftigte.
Diese zog mich von der ersten Minute an in ihren Bann. Angesiedelt auf den westlich von Stockholm gelegenen Mälareninseln, steht „Der Loop“ im Zentrum des Geschehens: Der weltweit größte Teilchenbeschleuniger in der unterirdischen, streng geheimen Forschungsanlage für Hochenergiephysik der Regierungsbehörde Riksenergi. Allgegenwärtig im Alltag und doch ein Mysterium. Keiner der dort angestellten Inselbewohner berichtet von seiner Arbeit im Loop. Sichtbar sind nur die drei großen Kühltürme der Anlage, und Roboter verschiedenster Art zeugen von den Experimenten unter der Erde. Wenn das kein Eldorado für Kinder ist, viele Abenteuer zu erleben und Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Vor meinem geistigen Auge entwickelten sich, nicht zuletzt dank des anschaulich geschriebenen Regelwerks und der wundervollen Bilder, Szenarien und Mysterien in dieser sonderbaren Welt, verknüpft mit Bildern aus meiner Kindheit: Wall-E meets Die Kinder von Bullerbü. Nichts mehr mit „Ich mag keine Rollenspiele, in denen wir Kinder darstellen.“ Stattdessen „Wer spielt mit mir eine Proberunde?“. Und siehe da, es fanden sich tatsächlich spontan drei Mitspielende: Ein Computerfreak, eine Sportskanone und ein Rocker machten sich mit viel Spaß daran, das Verschwinden ihres Mitschülers Pelle aufzuklären.
Erste Runden als Spielleiterin eines neuen Systems empfinde ich meist als stressig. Man muss ein Gespür für das Setting bekommen, an alle Regeln denken und die noch vorhandenen Lücken so überdecken, dass alle eine flüssige, spannende Spielrunde erleben. Dass ich mich hier auf Anhieb beim Leiten wohlfühlte, liegt vor allem an zwei Komponenten: Zum einen bin ich selbst ein Kinder der 80er Jahre. Zumindest in der „normalen“ Welt von TALES FROM THE LOOP fühle ich mich zuhause. Erinnerungen werden wach an Top Gun, Commodore, Kassetten und Co. Zum anderen – und dies empfinde ich als die größte Stärke des Spiels – kommt es mit wenigen einfachen Regeln aus. Um Würfelproben zu bestehen, würfeln wir eine bestimmte Anzahl an Würfeln, und alle gewürfelten 6er zählen dabei als Erfolg. Persönliche Gegenstände oder helfende Freunde können die Zahl der Würfel erhöhen, der eigene Stolz kann zu einem automatischen Erfolg führen.
Ikonische Gegenstände
Ein paar Kleinigkeiten gibt es darüber hinaus noch zu beachten, aber die Einfachheit führt dazu, dass von Anfang an ein flüssiges Spiel entsteht. Ich muss nicht zwischendurch zig Regelseiten durchblättern und nachlesen. Dass ich als Spielleiterin in diesem Spiel gar nicht würfeln darf, empfinde ich zudem als sehr entspannend. Stolz und der sogenannte ikonische Gegenstand werden von den Spielenden bei der Charaktererschaffung frei gewählt, dazu kommen noch Kategorien wie Motivation und Problem. Diese Beschreibungen und die Verbindungen, die die Charaktere untereinander und zu verschiedenen Nicht-Spieler-Charakteren bei der Charaktererstellung eingehen, sorgen dafür, dass ein recht abgerundetes Bild der einzelnen Charaktere entsteht. Dies hilft, so die einhellige Meinung meiner Gruppe, sich in die Kinder und das Spiel hineinzuversetzen.
Noch haben meine drei Mitstreiter das Rätsel um das Verschwinden des kleinen Pelle nicht vollständig gelöst. Aber egal wie erfolgreich sich ihre Ermittlungen am Ende herausstellen, für mich steht fest: Dies wird nicht meine letzte Runde gewesen sein. Die Lust, eine größere Kampagne zu leiten oder auch zu spielen, ist durch diese Schnupperrunde noch einmal um ein Vielfaches gestiegen. TALES FROM THE LOOP könnte sich definitiv zu einem Dauerbrenner entwickeln.
Allen, die das System noch nicht kennen, die Spaß an einem popkulturellen Spiel in den 80er Jahren haben und nicht davor zurückschrecken, in die Rolle von Kindern zwischen 10 und 15 Jahren zu schlüpfen, kann ich nur empfehlen: Lasst euch darauf ein und probiert es aus!
Sandra Pesavento
TALES FROM THE LOOP, deutsche Ausgabe Ulisses-Spiele, 2021, Original bei Fria LIGAN AB, Schweden erschienen, Schöpfer des Loop-Universums: Simon Stålenhag
Dieser Text erschien in der 142. Ausgabe des Fairplay Magazins. Unterstützen Sie unsere Arbeit: Abonnieren Sie das gedruckte Magazin oder bestellen Sie das einzelne Heft.